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"Ein Urnengang als Farce"

20. September 2010

Die von Gewalt überschattete Parlamentswahl in Afghanistan ist an diesem Montag Thema auf den Kommentarseiten der europäischen Tageszeitungen.

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Titelseiten diverser ausländischer Tageszeitungen an einem Kiosk in Berlin (Foto: dpa)
Bild: dpa

Die Frankfurter Rundschau kommentiert:

"Die Parlamentswahl in Afghanistan war nicht frei, denn Wähler wurden, sogar von Kandidaten, bedroht. Sie war nicht allgemein, da manche Afghanen wegen des Krieges keinen Zugang zu Wahlurnen hatten. Ob sie transparent war, muss sich noch zeigen. Die Wahl war jedenfalls nicht "gut genug", sagte General David Petraeus, Kommandeur der Internationalen Streitkräfte. Der Westen redet gegenwärtig wie ein Lehrer, der schlechten Unterricht gibt und die ungenügenden Leistungen der Schüler mit ihrer angeblichen Dummheit erklärt. Aber Afghanen besitzen ein gutes Gedächtnis. Es ist besser, als Politikern und Militärs im Westen lieb sein kann. Afghanen erinnern sich bestens an die Versprechen von 2001. Sie lauteten: wirtschaftliche Entwicklung, Demokratie, Gleichstellung von Mann und Frau, Sicherheit und Korruptionsfreiheit. Nichts davon wurde erfüllt, während es unter den verfemten Taliban zumindest Sicherheit gab und Korruption unbekannt war. Die Afghanen haben die Zustände am Hindukusch mittlerweile dermaßen satt, dass sie diesen Vergleich immer häufiger ziehen."

Die Süddeutsche Zeitung aus München schreibt:

"Wer fürchten muss, umgebracht zu werden, wenn er wählen geht, wird lieber daheim bleiben. Das hat die Parlamentswahl in Afghanistan am Wochenende bewiesen, an der nach ersten Erkenntnissen trotz schon niedriger Erwartungen noch weniger Wähler teilgenommen haben, als es sich der Westen erhofft hatte. Die Vereinten Nationen und Guido Westerwelle haben zwar recht, wenn sie die mutigen Afghanen loben, die trotz der Taliban-Drohungen an der Wahlurne erschienen sind. Aber es wurden etwa 2,5 Millionen Stimmen weniger abgegeben als bei der ersten Parlamentswahl nach dem Sturz der Taliban vor fünf Jahren. Deutlicher lässt es sich nicht mehr zum Ausdruck bringen, wie angespannt die Lage ist. Die meisten Afghanen sind trotz der niedrigen Wahlbeteiligung noch lange keine Anti-Demokraten. Im Gegenteil. Sie wollen wählen - zumindest erzählen dies gerade junge Menschen immer wieder. Was sie nicht wollen, ist ein politisches System, das sie nicht repräsentiert. Die Menschen in Afghanistan leben mit dem Gefühl, ihre politischen Führer hätten es sich in einem Selbstbedienungsladen gemütlich gemacht."

In der in Wien erscheinenden österreichischen Tageszeitung "Der Standard" heißt es:

"Anlässlich der afghanischen Präsidentschaftswahlen war 2009 das positive internationale Interesse groß - und die Enttäuschung umso lauter, als sich der Urnengang als Farce entpuppte. Wenigstens das konnte bei den Parlamentswahlen am Samstag nicht passieren: Sie verliefen genauso wie erwartet, als Veranstaltung zur Machtfestigung von Hamid Karsai und seiner Klientel. Dem Präsidenten war es gelungen, im Vorfeld interne Kontrollmechanismen zu schwächen und das Mandat und den Umfang der internationalen Wahlbeobachtung zu beschneiden, die ihm nach August 2009 so viel Ärger bereitet hatten. Das ist in einer sogenannten Fassadendemokratie üblich. Das Ungewöhnliche daran ist, dass die Internationale Gemeinschaft, allen voran die UNO, Karsai mehr oder weniger schweigend gewähren lässt."

Die britische Zeitung "The Independent" kommentiert:

"Verglichen mit den Parlamentswahlen vor fünf Jahren hat die Sache der Demokratie eher einen Rückschritt gemacht. Das Ergebnis, ob es nun durch Betrug verfälscht wurde oder nicht, wird Auskunft geben über die relative Stärke oder Schwäche von Präsident Hamid Karsai. Die Internationale Gemeinschaft ist jedenfalls darum bemüht, die Erwartungen herunterzuschrauben. Der UN-Sondervertreter in Afghanistan meinte, die Wahl sei immerhin eine Wahl, auch wenn sie nicht dem westlichen Ideal einer Demokratie entspreche. Hinter derartigen Sätzen verbirgt sich die Hoffnung, dass Afghanistan bald stabil genug sein wird, um einen Abzug ausländischer Truppen zu ermöglichen, ohne ein Blutbad hervorzurufen. Doch nach diesen Wahlen hat man den Eindruck, dass es noch Jahre dauern wird, bis es so weit ist."

zusammengestellt von: Esther Broders
Redaktion: Thomas Kohlmann