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Britisches Nein zu Syrien-Angriff

Hendrik Heinze30. August 2013

Dieser Paukenschlag hallt nach: Großbritannien verlässt die Anti-Assad-Militärkoalition. Und was eigentlich simple innenpolitische Gründe hat, lässt nun Cameron zittern, Obama nachdenken und Putin jubeln.

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Großbritanniens Premierminister David Cameron spricht im Unterhaus (Foto: REUTERS)
Bild: Reuters

Was für ein starkes Zeichen wäre das gewesen: Eine große "Koalition der Willigen", die den mutmaßlichen Giftgas-Mörder Baschar al-Assad für seine Untaten bestraft. Ganz wie im Jahr 2003, als ein Bündnis aus fast 50 Staaten den irakischen Diktator Saddam Hussein stürzte. Nationen, vereint gegen das Unrecht. Der moralische Vorteil ist offensichtlich: Was viele unterstützen, das kann nicht falsch sein.

Doch die aktuelle "Koalition der Willigen" bröckelt: Ausgerechnet das bisher äußerst willige Großbritannien will nun nicht mehr. Keine Beteiligung an einem Angriff auf Syrien - so hat es das britische Parlament mit knapper Mehrheit beschlossen, und so hat es Premierminister Cameron anschließend versprochen.

"Cameron hat die Stimmung unterschätzt"

"Das ist in der Tat eine überraschende Entwicklung", sagt Kai Oppermann, deutscher Wissenschaftler am renommierten King's College in London. "Bis kurz vor der Abstimmung konnte Camerons Regierung relativ sicher sein, dass es eine Mehrheit für die Regierungsvorlage gibt." Der Premierminister habe sich aber in der Stimmung im eigenen Lager und in der Bevölkerung getäuscht, sagt Oppermann.

Großbritanniens Premierminister David Cameron (Foto: CARL COURT/AFP/Getty Images)
Entgeistert: David Cameron hat die Abstimmung über den Syrien-Einsatz überraschend verlorenBild: Getty Images/Afp/Carl Court

Ähnlich sieht es auch der Großbritannien-Experte Roland Sturm. "Cameron hat anscheinend völlig die große Zurückhaltung der Briten gegenüber einem weiteren Kriegseinsatz unterschätzt", sagt der Politik-Professor an der Universität Erlangen-Nürnberg. Denn genau diese ablehnende Haltung der Bevölkerung habe selbst Abgeordnete der Regierungspartei gegen einen Einsatz stimmen lassen. "Im britischen Wahlsystem muss man in seinem Wahlkreis wiedergewählt werden, da kann man sich nicht radikal gegen seinen Wahlkreis wenden."

Britische-amerikanische Sonderbeziehung hat gelitten

"Ein stark innenpolitisch bedingtes Votum also", erläutert Sturm im DW-Gespräch, "das hat nichts zu tun mit der Rolle Großbritanniens in der Welt. Da würden die meisten Briten sagen 'Selbstverständlich sind wir an der Seite Amerikas, selbstverständlich sollten wir eine Weltmacht- oder zumindest Mittelmachtrolle spielen!'" Grundsätzlich sei Großbritannien immer noch auf der Seite der Willigen, sagt Sturm - mit einer Einschränkung: "Wenn es um Ziele geht, die innenpolitisch vermittelbar sind."

Der "Koalition der Willigen" hilft das für den Moment allerdings wenig. Die berühmte "special relationship" zwischen Großbritannien und den USA hat laut Oppermann bereits gelitten. Diese Sonderbeziehung war bisher eine Grundkonstante britischer Politik: In Treue fest an der Seite der USA, gerade auch in militärischen Konflikten. Das kam nicht immer gut an, Tony Blair etwa musste sich 2003 als "Bushs Pudel" verspotten lassen.

Ein Pudel und das Bein seines "Herrchens" (Foto: Matthias Hiekel/dpa)
Schoßhund England, Herrchen USA: So sahen viele Briten die Beteiligung am Irakkrieg 2003Bild: picture-alliance/dpa

Nationale Selbsterforschung

"Genau diese Verlässlichkeit als Partner bei internationalen Militäreinsätzen wurde natürlich durch die Entscheidung des Parlamentes unterminiert", erläutert Wissenschaftler Oppermann. "Und das ist umso gravierender, weil ja gerade die britische Regierung die amerikanische Regierung gedrängt hat, militärisch gegen das syrische Regime vorzugehen."

Großbritannien wird den Streit nun innenpolitisch austragen, der große Verlierer Cameron zittert bereits. Was die künftige Rolle in der Welt angeht, steht dem Land in den Worten seines Finanzministers eine "nationale Selbsterforschung" bevor.

Obama wie im Wilden Westen

Rein militärisch werde Großbritanniens Kehrtwende ohnehin keine Folgen haben, glaubt der in London lehrende Oppermann, "weil der Beitrag an solchen Militärschlägen sowieso vergleichsweise gering gewesen wäre." Politisch aber ist Großbritanniens Entscheidung ein starkes Signal. Die französische Zeitung "L'Alsace" etwa sieht US-Präsident Obama als heißblütigen Kavalleriekommandanten, der laut "Gewehre laden!" befiehlt, sich dann umdreht und sieht, dass ihm niemand gefolgt ist.

Kai Oppermann, Wissenschaftler am King's College London (Foto: KCL)
"Abstimmung spiegelt öffentliche Meinung wider": Kai Oppermann vom Londoner King's CollegeBild: Kai Oppermann

Dass die USA auch ohne UN-Mandat eingreifen würden, hatte Obama ohnehin schon angedeutet. Inzwischen macht er eine Intervention in Syrien allerdings von der Zustimmung des Kongresses abhängig. Die US-Bevölkerung ist nach DW-Erkenntnissen zumindest gespalten.

Frankreich willig, Deutschland skeptisch

Mit im Boot wäre weiterhin Frankreich. "Wenn der UN-Sicherheitsrat nicht in der Lage ist zu handeln, wird sich eine Koalition formieren", sagt Präsident François Hollande. Deutschland hält sich dagegen zurück. Die Bevölkerung spricht sich in Umfragen mehrheitlich gegen eine Mitwirkung aus. Und Merkels Regierung ergreift Partei für die westlichen Verbündeten, auch einen Giftgas-Einsatz hält man für ausreichend belegt. An Kampfeinsätzen wird sich die Bundeswehr aber nicht beteiligen, schon gar nicht ohne UN-Beschluss. Ähnlich sieht es Polen, das anders als im Irakkrieg 2003 eine eigene Beteiligung ausschließt.

Die Türkei befürwortet einen Angriff auf Syrien. Sie verspricht sich davon einen schnelleren Sturz Assads. Syriens Nachbar befürchtet aber auch Vergeltungsangriffe auf eigenes Gebiet, immerhin haben beide Staaten eine 800 Kilometer lange gemeinsame Grenze. Auch Israel unterstützt eine militärische Strafaktion - aus Angst vor Vergeltungsangriffen will sich das Land aber nicht selbst beteiligen.

Russlands Präsident Wladimir Putin (Foto: KIMMO MANTYLA/AFP/Getty Images)
Selbst unwillig, aber ungewollt Wegbereiter der Willigen: Russlands Präsident Wladimir PutinBild: Kimmo Mantyla/AFP/Getty Images

Auf eigene Faust

Russland lehnt einen Militärschlag weiter kategorisch ab - und jubelt über die britische Parlamentsentscheidung: Er gehe davon aus, dass die Abstimmung die Mehrheitsmeinung in Europa widerspiegele, sagte Putins außenpolitischer Berater. Im UN-Sicherheitsrat blockiert die Vetomacht Russland bisher jedes gemeinsame militärische Vorgehen - und war damit der eigentliche Geburtshelfer der "Koalition der Willigen", jene Länder, die sich auf eigene Faust gegen Syrien organisieren. Mit den USA. Mit Frankreich. Mit gewissem Wohlwollen anderer Staaten. Aber ohne Großbritannien.