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Das Urteil von Dresden

11. November 2009

Im Prozess um den Mord an der Ägypterin Marwa El-Sherbini ist der Angeklagte Alex W. zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Ein eindeutiges Urteil, meint Rainer Sollich in seinem Kommentar.

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Themenbild Kommentar (Quelle: DW)
Bild: DW

Der Mord an Marwa El-Sherbini wurde nicht nur von unbelehrbaren Fanatikern als Ausdruck einer islamfeindlichen Stimmung in Deutschland interpretiert. Hochemotionale Reaktionen dieser Art gab es auch aus den Reihen der Mehrheit jener Muslime in Ägypten, Deutschland und weiteren Ländern, die jede Form von Extremismus für sich konsequent ablehnen.

Viele Deutsche wiederum konnten in dem Mord nichts weiter als einen extremen Einzelfall erkennen. Sie wunderten sich über die heftigen Emotionen bei vielen Muslimen und empfanden sie schlicht als übertrieben und irrational.

Das Gericht hatte nun allerdings nicht über die Angemessenheit dieser Reaktionen oder über den Grad an Islamfeindlichkeit innerhalb der deutschen Gesellschaft zu befinden. Es musste ein Urteil über einen konkreten Mordfall und dessen Motivation fällen. Und dieses Urteil ist sehr eindeutig ausgefallen: Der Mörder erhält die Höchststrafe. Er muss lebenslänglich hinter Gitter, auch eine vorzeitige Haftentlassung scheint weitgehend ausgeschlossen.

Mit dem Urteil hat das Gericht im Prinzip nur eine Selbstverständlichkeit verdeutlicht: Fremdenfeindlich motivierte Straftaten oder gar Morde werden in Deutschland weder verharmlost noch geduldet. Sie werden mit größtmöglicher Gesetzesstrenge bestraft.

Offene Fragen

Zwei Punkte bleiben jedoch ungeklärt. Zum einen wird es vielen Muslimen unverständlich bleiben, dass ausgerechnet in einem sicherheitsbewussten Land wie Deutschland ein Täter mit einem Messer in einen Gerichtssaal gelangen konnte.

Zum anderen muss die völlig unterschiedliche Wahrnehmung des Mordfalls bei Muslimen und Nicht-Muslimen zu denken geben. In weniger scharfer und zum Glück auch nicht-gewalttätiger Form zeigte sich jetzt wieder dasselbe tiefe gegenseitige Unverständnis, das schon 2006 beim Karikaturenkonflikt und später bei der umstrittenen Papstrede in Regensburg hervorgetreten war.

Es gab von islamischer Seite leider zu wenige mäßigende Stimmen, die deutlich darauf hinwiesen, dass Muslime in Deutschland nicht staatlicherseits diskriminiert oder gar absichtlich Gewalttätern ausgeliefert werden. Und es gibt leider auf deutscher Seite auch nur wenige Stimmen, die das tiefersitzende Problem erkannt haben: Seriöse Umfragen belegen, dass es in Teilen der deutschen Gesellschaft durchaus großes Misstrauen, viele Ängste und auch offene Abneigung gegenüber dem Islam gibt. Damit muss sich die deutsche Gesellschaft auseinandersetzen - in einer auch für Muslime glaubwürdigen Form.

Autor: Rainer Sollich

Redaktion: Kay-Alexander Scholz