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App gegen Irans Sittenpolizei

Jessie Wingard / ch12. Februar 2016

Eine neue App hilft Iranern, die strengen Sittenwächter des Landes auszutricksen. Doch kaum ist sie auf dem Markt, wird sie schon von der Regierung verboten.

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APP gershad.com
Bild: gershad.com

Eine Gruppe anonymer Software-Spezialisten hat die neue App namens Gershad entwickelt. Die iranischen Sittenwächter finden sich überall im Land auf belebten Straßen. Sie sorgen dafür, dass sich die Bürger an die strengen Kleider- und Benimmregeln der Islamischen Republik halten. Frauen ohne ausreichende Kopftuchbedeckung, mit einer "unpassenden" Frisur oder zuviel Makeup können bestraft werden. Auch Männer mit modischer, westlicher Kleidung werden mitunter zurechtgewiesen.

Wer sich nicht an die Vorschriften hält, läuft Gefahr, in ein Auto gezerrt und in eine Besserungseinrichtung gebracht zu werden. Dort werden die Übeltäter darüber belehrt, wie man sich als ordentlicher Bürger zu verhalten hat, mit einer Geldstrafe belegt oder sogar angeklagt.

In einer Erklärung auf ihrer Webseite schreiben Entwickler der Gershad-App, dass von den drei Millionen Frauen, die 2013 von der Sittenpolizei festgenommen wurden, 207.000 gezwungen worden seien, sich schriftlich beim Staat für ihr Verhalten zu entschuldigen; 18.000 seien angeklagt worden.

Die sozialen Medien, sagen die Entwickler, seien voll mit Fotos von Frauen, die von Sittenwächtern geschlagen werden. Mit der App hätten sie "einen risikoarmen Weg gefunden, gegen dieses Unrecht zu protestieren".

Sittenwächter gestikuliert (Foto: ISNA)
Was unsittlich ist, ist subjektiv und wird von den Sittenwächtern mal so, mal so interpretiertBild: ISNA

Den Behörden ausweichen

Die Gershad-App wurde zu einem Renner im Google Play store, wo sich Android-Benutzer in Massen die Anti-Sittenwächter-Software auf ihre Smartphones herunterluden. Die Nachfrage war so groß, dass die Behörden Wind davon bekamen - und die App weniger als 24 Stunden nach dem Start verboten.

Die App funktioniert, indem lokale Benutzer den Standort von Sittenwächtern auf den Stadtplänen der App kenntlich machen. Wenn sich die Hinweise für einen Standort häufen, werden andere durch ein Symbol auf der Karte auf die Gefahr aufmerksam. Den Benutzern wird dann durch vorgeschlagene Umgehungsmöglichkeiten geholfen, der Sittenpolizei auszuweichen.

Geht die Zahl der Warnungen für einen Standort wieder zurück, verschwindet irgendwann das Symbol von der Karte.

Unangenehme Begegnungen

Internet-Zensur im Iran ist weit verbreitet. Viele Iraner umgehen die Beschränkungen durch Proxy-Server und haben so Zugang zu "verbotenen" sozialen Netzwerken wie Twitter und Facebook.

Vielen Iranern gefällt die neue App trotz des Verbots. Auf Twitter meint einer von ihnen: "Während der Rest der Welt Apps erfindet, um die Polizei und damit Schutz zu finden, müssen wir (Iraner) Apps schaffen, um uns vor den Behörden in Sicherheit zu bringen."

Dieser Benutzer schreibt: "Wie verzweifelt müssen wir (Iraner) eigentlich sein, dass wir aus Angst, der Polizei auf der Straße zu begegnen, Apps erfinden müssen."

Diese Benutzerin meint, ihr sei es "egal, ob die App funktioniert oder nicht, aber jedes Herunterladen ist schon ein Protest an sich."

In diesem witzigen Kommentar von einem Benutzer in Maschhad im Nordost-Iran heißt es: "Bisher gab uns die Sittenpolizei einen Grund, unsere Freundinnen mit nach Hause zu nehmen. Jetzt hat die App das zunichte gemacht."

Eine Frau schaltet sich in die Debatte mit der Bemerkung ein: "Warum brauchen wir eigentlich die Gershad-App? Die Männer sagen uns doch schon, wir sollten mit ihnen nach Hause gehen, weil überall draußen Polizei herumsteht."

Eine Sorge der mehr als tausend App-Benutzer ist allerdings, dass die Sittenpolizei sich Zugang zur Software verschafft und Benutzern Fallen stellen wird.

Der Server steht im Ausland und wird angeblich von einer privaten Firma betrieben. Die Sicherheit der App-Benutzer ist natürlich oberstes Gebot, sie wird durch ein verschlüsseltes SLL-Protokoll gewährleistet.