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Eine außergewöhnliche Geschichte

Gérard Foussier4. Februar 2004

Frankreichs Ex-Premier Juppé gibt sich kampfeslustig: Wegen illegaler Parteienfinanzierung ist er zu 18 Monaten Haft auf Bewährung verurteilt worden. Doch Juppé bleibt in der Politik. Gérard Foussier kommentiert.

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Alles ist ungewöhnlich in dieser Geschichte: Ungewöhnlich hart die Bewährungsstrafe, die letzte Woche gegen den Vorsitzenden der neo-gaullistischen Partei Alain Juppé verhängt wurde - 18 Monate Gefängnis und zehn Jahre Unwählbarkeit. Und dies aufgrund eines Anti-Korruptions-Gesetzes, das Juppé selbst 1995 als Premierminister durchgesetzt hatte.

Ungewöhnlich auch die späten Äußerungen der vorsitzenden Richterin: Von "politischem Druck während des Verfahrens" war plötzlich die Rede, Telefongespräche seien abgehört worden, Drohbriefe habe man erhalten und auch in den Büros der Richter sei eingebrochen worden.

Ungewöhnlich die Reaktion von Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac darauf: Er ordnete eine Untersuchung des Prozesses an. Die Justiz ist den Politikern zu politisch geworden - nun machen sich die Politiker selber zu Juristen. Der Kampf ist ebenfalls ungewöhnlich: Die Justiz wirft Juppé eine Täuschung des souveränen Volkes vor, Juppé-Freunde sprechen von einem heuchlerischen und zynischen Urteil.

Ungewöhnlich sind auch die Rücktrittsankündigungen des Verurteilten: Alain Juppé, der in die Berufung geht, setzt auf Zeit. Irgendwann will er den Vorsitz der Chirac-Partei abgeben, aber sein Mandat als Abgeordneter der Pariser Nationalversammlung behält er und Bürgermeister der Stadt Bordeaux bleibt er weiterhin - bis zum endgültigen Urteil der Richter, etwa in einem Jahr also.

Genauso ungewöhnlich sind die relativ leisen Reaktionen der linken Opposition auf die längst bekannten Korruptions-Vorwürfe - auch manche Sozialisten haben in der Vergangenheit für skandalträchtige Unregelmäßigkeiten büßen müssen, allerdings nicht mit der Härte des Juppé-Urteils. Mitleid wäre sicherlich zu viel verlangt, aber Schadenfreude ist mit Sicherheit fehl am Platz.

Der Hintergrund dieser außergewöhnlichen Geschichte ist klar: Nicht Alain Juppé ist der eigentliche Adressat der juristischen Kritik, sondern vielmehr gewisse Praktiken des gaullistischen Macht-Apparats aus der Zeit, wo Chirac allmächtiger Bürgermeister von Paris und Juppé sein wichtigster Mitarbeiter und Vertrauter war. Ja, Jacques Chirac ist mit dem Urteil gemeint, wenn auch nicht namentlich genannt. Die Unantastbarkeit des Präsidenten der französischen Republik ist vor kurzem endgültig entschieden worden - solange Chirac im Elysée-Palast residiert, bleibt die Justiz also machtlos.

Mit der Verurteilung Juppés haben aber die Richter ein Exempel statuieren und hiermit signalisieren wollen, dass auch der einfache Bürger Chirac am Ende seines Mandats, also 2007, mit einem ähnlichen Urteil rechnen muss - es sei denn, er schafft es noch einmal trotz hohen Alters seine Wiederwahl zu sichern.

Hätte Juppé das Handtuch geworfen und aus seinen Ämtern den Rücktritt angekündigt, hätte die Justiz nur noch Chirac im Visier gehabt. Alain Juppé hat "seinen" Präsidenten nicht im Stich gelassen.

Und was ist mit 2007? Nach dem Urteil gegen Juppé haben Politik-Experten in den Medien wieder Hochkonjunktur - und spekulieren in alle Richtungen. Chirac reagiert gelassen, denn er weiß: Politologen werden zu oft mit Astrologen verwechselt.