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Eine diplomatische Ohrfeige

Sven Pöhle10. Juli 2014

Nun hat Berlin doch auf die Spionagevorwürfe gegen die USA reagiert. Amerikas oberster Geheimdienstler in der Hauptstadt wurde aufgefordert, Deutschland zu verlassen. Das war so nicht zu erwarten.

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US Botschaft Berlin (Foto; REUTERS/Wolfgang Rattay/Files)
Bild: Reuters

Die Botschaft aus Deutschland ist ein deutliches Signal: Die Bundesregierung hat den Repräsentanten für die Nachrichtendienste bei der US-Botschaft aufgefordert, Deutschland zu verlassen. Hintergrund der Entscheidung seien sowohl die NSA-Affäre als auch zwei Fälle von Spionageverdacht beim Bundesnachrichtendienst und im Verteidigungsministerium, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert.

Binnen weniger Tage waren zwei mutmaßliche Spionagefälle publik geworden. Ein Beamter des Bundesnachrichtendienstes (BND) wurde verhaftet, gegen einen Mitarbeiter des Bundesverteidigungsministeriums wird wegen des Verdachts auf Spionage ermittelt. Beide sollen US-Geheimdienste informiert haben.

Diplomatische Immunität und unerwünschte Personen

Im Regelfall genießen Diplomaten im Gastland Immunität. Sie können nicht von den Staaten zur Verantwortung gezogen werden. Nach dem "Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen" können sie aber - etwa bei Spionageverdacht - zur unerwünschten Person (persona non grata) erklärt und des Landes verwiesen werden. 2012 hatte Deutschland den syrischen und 2011 den libyschen Botschafter ausgewiesen.

Fälle, in denen westliche Agenten in Deutschland enttarnt wurden, sind wenig bekannt. "Wenn wir damals solche Dinge erfahren haben, haben wir ausgewiesen", sagt Bernd Schmidbauer, der zwischen 1991 und 1998 als Geheimdienstkoordinator der Bundesregierung tätig war, im Gespräch mit der DW. Damals habe man derartige Fälle aber diskreter behandelt. Die entsprechenden Agenten wurden meist stillschweigend abgezogen.

Wie häufig dies in der Vergangenheit geschehen ist, ist unklar. Nachrichten über derartige Fälle sickerten selten durch. Zwischen Deutschland und den USA ist ein Fall von ähnlicher Größenordnung bekannt. Im Sommer 1997 hatte ein US-Diplomat versucht, einen Beamten im Wirtschaftsministerium anzuwerben. Nachdem der Verfassungsschutz ermittelte und der Diplomat zur Ausreise aufgefordert wurde, bestritten die USA zwar die Vorwürfe, zogen den Diplomaten aber ab.

Doppelte Botschaft

Das aktuelle deutsche Vorgehen hat eine doppelte Außenwirkung. Adressat sind zum einen selbstverständlich die Vereinigten Staaten. Die US-Regierung hat sich bislang nicht zu den Vorwürfen geäußert. Sichtlich zerknirscht hatte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Norbert Röttgen, während des Besuchs einer Bundestags-Delegation in Washington am Mittwoch mitgeteilt, man könne keine Hinweise mit nach Hause nehmen, "dass sich in der Politik oder auch nur der Kommunikation der US-Regierung gegenüber Deutschland kurzfristig etwas ändert".

Auch in den US-Medien war das Thema bislang nicht präsent. Das hat sich durch den Rauswurf des US-Geheimdienstrepräsentanten geändert. Nach der öffentlichen Erklärung der Bundesregierung berichteten die Washington Post und USA Today auf ihren Websites prominent über den Fall.

Durch das öffentliche Vorgehen wendet sich die Bundesregierung aber auch an die heimische Bevölkerung und an deutsche Politiker, die empört und verärgert auf die Ereignisse reagiert hatten. Bundeskanzlerin Angela Merkel warf den USA am Donnerstag vor, ihre Ressourcen völlig falsch einzusetzen. Angesichts großer Herausforderungen etwa im Nahen Osten sei das Ausspionieren von Verbündeten "eine Vergeudung von Kraft", sagte Merkel in Berlin. "Wir haben so viele Probleme. Wir sollten uns auf das Wesentliche konzentrieren", sagte sie mit Hinweis auf Syrien und den Irak. Das scheine bei den nun diskutierten Fällen von Spionage in Deutschland aber nicht der Fall zu sein. Finanzminister Schäuble sprach in dem Zusammenhang von "Dummheit" der USA. Die Opposition hatte der Bundesregierung Untätigkeit vorgeworfen. Der Schritt der Regierung fand nun breite Zustimmung aller Bundestagsfraktionen.

Mehr Spionageabwehr?

Auch bei den Geheimdiensten in Deutschland will man Konsequenzen aus der Spionageaffäre ziehen. Bernd Schmidbauer hält einen Ausbau der Spionageabwehr für den richtigen Weg. "Nur dann kann nicht jeder in meinem Vorgarten herumturnen. Und da gibt es kein Freund und Feind, da gibt es nur nationale Interessen." Man sei bereits dabei, den Schutz gegen Angriffe auf die deutsche Kommunikation und die eigene Spionageabwehr zu stärken und weiter auszuweiten, erklärte Innenminister Thomas de Maizière am Donnerstag. Auch der Militärische Abschirmdienst (MAD), der Nachrichtendienst der Bundeswehr, prüft, wie er sich neu aufstellen kann.