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Marion Brasch im Gespräch

Gabriela Schaaf26. März 2012

In ihrem Roman "Ab jetzt ist Ruhe" erzählt Marion Brasch die bewegende Geschichte einer prominenten Familie in der DDR. Ihrer Familie. Es ist eine Geschichte voller Extreme. Wir haben Marion Brasch interviewt.

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Autorin: Marion Brasch (2011) Foto: Jürgen Bauer Das Foto ist honorarfrei bis 1.9.2013 Marion Brasch, deutsche Journalistin, Rundfunkmoderatorin und Autorin, geb. 1961 | Marion Brasch, German journalist, radio presenter and writer, born in 1961
Bild: Jürgen Bauer

Marion Brasch ist die letzte Überlebende einer berühmten Familie. Ihr Vater war zeitweise stellvertretender Kulturminister der DDR und ihre drei Brüder arbeiteten als Künstler. Doch mit ihrer kritischen Haltung stießen sie an die Toleranz-Grenzen des Staates – und des eigenen Vaters – und scheiterten. Lediglich Thomas Brasch, der Schriftsteller und Dramatiker, übersiedelte in den Westen und hat es zu einigem Ruhm gebracht. Aber auch er fand ein frühes Ende.

Nun schildert das jüngste Kind, die einzige Tochter, ihre ganz eigene Sicht auf die Familie – und nennt das ganze vorsichtshalber Roman.

Deutsche Welle: Marion Brasch, Sie nennen im Buch Ihre Familie eine fabelhafte Familie. Ist das ironisch gemeint?

Marion Brasch: Das ist durchaus ironisch gemeint, denn so fabelhaft war die Familie nicht. Es war eine Familie voller existenzieller Brüche, eine Familie in der viel gestritten wurde, und eine Familie, die am Ende verschwindet und nicht mehr da sein wird. Ich bin ja die Letzte, die von dieser Familie noch lebt. Wenn ich sage fabelhaft, dann gibt mir das die Freiheit zu fabulieren, vielleicht auch ein Märchen über eine Familie zu erzählen, die so hätte existieren können - vor authentischem Hintergrund der DDR.

Eine Fabel bezeichnet auch etwas Typisches. Hatte dieses Familienleben etwas DDR-Typisches?

In gewisser Weise ja. Diese Familie hat ja auch Alltag gelebt. Es war zwar ein privilegierter DDR-Alltag, weil mein Vater ja ein hoher Funktionär und Repräsentant der DDR war, aber es war in weiten Zügen auch ein sehr DDR-typischer Alltag mit allem, was dazu gehört: vom Kindergarten bis hin zu Wochenkrippe. Das war die Schattenseite unserer Existenz: Die Funktionäre haben ihre Kinder gern in Obhut gegeben. Sie dachten, das täte ihnen gut - und gleichzeitig hatten sie selbst mehr Zeit, ihre Idee vom besseren sozialistischen Staat zu verwirklichen.

Buchcover Ab jetzt ist Ruhe von Marion Brasch. S.Fischer Verlag
Bild: S.Fischer Verlag

Ihre drei Brüder haben gegen den Vater rebelliert. Welche Rolle hatten Sie in der Familie?

Meine Rolle war immer die des Nesthäkchens, der kleinen Schwester, und als solche wurde ich auch nicht besonders ernst genommen. Ich bin mitgelaufen. Ich hatte aufgrund der Tatsache, dass ich ein Mädchen war und die Jüngste, eine längere Leine. Mein Vater hat versucht, bei mir ganz viel gut zu machen und mir einen größeren Freiraum zu gewähren als meinen Brüdern. Er hat mich mehr verwöhnt und war großzügiger. Aber auf der anderen Seite dachte ich, ich muss ihm entgegenkommen. Und im vorauseilenden Gehorsam habe ich Entscheidungen getroffen, die ich sonst nicht getroffen hätte. Ich bin zum Beispiel in die Partei eingetreten, um ihm einen Gefallen zu tun. Ich habe mich zum Opportunisten gemacht. Und je älter ich wurde, desto mehr spielte ich auch die Rolle der Vermittlerin. Dabei wurde ich ein wenig zwischen diesen Fronten aufgerieben, auch zwischen den politischen Fronten. Das war mein Konflikt, den ich zu tragen hatte.

Sie scheinen Ihren Vater trotz allem zu verstehen. Hat das mit seiner Biografie zu tun?

Als ich das Buch geschrieben habe, habe ich ganz schnell gemerkt, dass es auch ein Buch über meinen Vater ist. Ich habe über das Schreiben viel mehr von ihm verstanden. Auch den Zwiespalt, in dem er sich immer befunden hat. Meine Eltern haben sich im Exil kennengelernt, beide waren Juden. Meine Mutter kam aus Wien, mein Vater aus Deutschland. Er war aber in Deutschland zum Katholizismus konvertiert und ist sehr religiös in einem katholischen Internat in Bayern aufgewachsen. Dann kam er als Jude nach England, hat dort Kommunisten kennengelernt und ist dort ein weiteres mal 'konvertiert'. Mein Vater hat seine Religiosität in die kommunistische Idee mitgenommen. Er hat im Grunde genommen die Kirche gegen die Partei ausgetauscht. Das muss man wissen, um ihn zu verstehen. Das hat auch zu einer Strenge in der Erziehung seiner Söhne geführt, die bis zum Verrat reichte. So hat er etwa meinen Bruder nicht geschützt, als der 1968 ins Gefängnis musste.

Wie war das in der damaligen Situation für Sie?

Ich war in dieser Situation nicht dabei, als mein Bruder nach Hause kam und erzählte: Ich habe Flugblätter gegen den Einmarsch der Warschauer Truppen in Prag verteilt, hilf mir! Und mein Vater sagte: Nein, ich kann dir nicht helfen, du musst dich stellen. Dieses Nichthelfen ist natürlich der Verrat, und diesen Verrat habe ich erst sehr viel später verstanden. Damals habe ich das aus zweiter Hand durch einen blöden Mitschüler erfahren. Mein Bruder ging also ins Gefängnis, und auch mein Vater wurde quasi verurteilt. Er wurde von der Karriereleiter geschubst. Aus dem stellvertretenden Kulturminister wurde ein zweiter Sekretär der Bezirksleitung in Karl-Marx-Stadt. Das heißt, er wurde richtig entmachtet, was für ihn ein existenzieller Bruch war. Er hat es immer mit Demut getragen. Er hat immer gesagt, das ist die Strafe, dass ich meine Söhne nicht richtig erzogen habe.

Ihre Brüder wollten als Künstler arbeiten, aber alle drei sind gescheitert, haben sich mit Drogen und Alkohol ruiniert und sind früh gestorben. Was hat Sie geschützt?

Vielleicht die Tatsache, dass ich das Nesthäkchen war und der Strenge meines Vaters nicht in der Weise ausgeliefert war. Ich habe mich auch nie als Künstlerin und als überdurchschnittlich begriffen. Meine Brüder waren überdurchschnittlich und ich habe sie dafür bewundert. Für mich war das keine Option. Es hat mich sicher geschützt, dass ich nicht so ein Sendungsbewusstsein hatte. Später hat mich geschützt, dass ich ein Kind hatte. Der Hang zur Selbstzerstörung, der dieser Familie innewohnte, der auch bei mir vorhanden war - eine Essstörung - ist bei mir dennoch nie wirklich existenziell geworden. Ich musste mir sagen: Ich habe eine Verantwortung für einen anderen Menschen, und die kann ich nicht ignorieren.

Marion Brasch: Ab jetzt ist Ruhe. Roman meiner fabelhaften Familie. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2012. 400 S., 19,99 Euro