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"Eine Frage der Glaubwürdigkeit"

7. April 2011

Die Festnahme und das Verschwinden des chinesischen Küsntlers und Regimekritikers Ai Weiwei beschäftigt die europäischen Medien. Die Kommentatoren gehen mit Peking ins Gericht.

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Titelseiten diverser Tageszeitungen (Foto: dpa)
Titelseiten diverser TageszeitungenBild: picture-alliance/dpa

Die in Kopenhagen erscheinende liberale dänische Tageszeitung "Politiken" schreibt in ihrer Donnerstagsausgabe (07.04.2011):

"Ai Weiwei ist weltberühmt, aber nur den wenigsten in seiner Heimat China bekannt. Die Behörden fürchten sowohl seine Kritik wie seinen internationalen Ruf. Jahrelang hat er sich mit Schikanen, Überfällen und Eingriffen in seine Arbeit abfinden müssen. Trotzdem hat er es immer vorgezogen, in China statt im Ausland zu leben und zu arbeiten. Das kann ihn jetzt teuer zu stehen kommen, denn China schlägt immer härter gegen jeden zu, der für Freiheit eintritt oder auch nur im Geringsten quer zur offiziellen Linie steht."

Zur Verhaftung des chinesischen Aktionskünstlers und Regimekritikers kommentiert die Zeitung "Luxemburger Wort":

"Mit Ais Verschwinden stellt sich für den Westen die Frage: Wie reagieren? Den Fall als Chinas innere Angelegenheit ansehen und schweigen? Oder als eklatanten Verstoß gegen Menschen- und Bürgerrechte anprangern? Die Geschichte lehrt, dass Protest bei autoritären Regimen zwar Missfallen provoziert und nicht immer zum Erfolg führt, umgekehrt Stillschweigen als Zustimmung oder Schwäche interpretiert wird. Mit Verleugnung seiner eigenen Grundwerte erwirbt sich der Westen bei der aufsteigenden Supermacht kein Ansehen. Ein beharrliches Einstehen für Dissidenten und ihre auch in China durch die Verfassung verbrieften Menschen- und Bürgerrechte ist keine Provokation. Es ist eine Frage der Glaubwürdigkeit. Nicht Anbiederung, sondern Standfestigkeit erzeugt in der Politik Respekt - und auch Selbstrespekt."

Auch in der deutschen Presse ist das Verschwinden Ai Weiweis an diesem Donnerstag Thema auf den Kommentarseiten. In der in München erscheinenden "Süddeutschen Zeitung" heißt es:

"Die kommunistische Führung ist offensichtlich zu dem Schluss gekommen, dass der Westen China inzwischen mehr braucht, als China den Westen. Ai Weiwei hat dieses Denken als gefährliche Hybris bezeichnet. Der Austausch der Volksrepublik mit dem Westen, ob wirtschaftlicher oder kultureller Art, kann nur ein gegenseitiges Geben und Nehmen sein. Wenn der Westen auf Chinas Markt drängt, und die Chinesen umgekehrt westliche Technologie für ihre weitere Entwicklung wünschen, dann müssen sich beide Seiten respektvoll begegnen. Chinas kommunistische Führung aber hat begonnen, sich vom manierlichen Umgang mit dem Ausland ebenso zu verabschieden wie von der innenpolitischen Liberalisierung der eigenen Reformperiode. Damit wird das Lebenswerk des großen Reformers Deng Xiaoping beschädigt. Ein Land, das einen Künstler und Aufklärer wie Ai Weiwei hinter Gittern verschwinden lässt, hat einen neuen moralischen Tiefpunkt erreicht."

Die "Neue Osnabrücker Zeitung" meint:

"Der Mechanismus ist immer derselbe, und immer wieder ist er schwer auszuhalten: Autoritäre Regimes missachten nicht nur die Rechte der Bürger; sie verhöhnen ihre Opfer auch noch, indem sie das eigene Fehlverhalten auf die Leidtragenden projizieren. So auch in China: Die Führung übt sich in Willkür-Justiz und beschimpft ihr Opfer als Rechtsbrecher. Das Land verhaftet einen Künstler ohne Angabe von Gründen, und sieht sich selbst in seiner Souveränität verletzt. China isoliert sich in Fragen der Menschenrechte und nennt Ai Weiwei einen Außenseiter. Für den Inhaftierten und seine Angehörigen stehen Fragen der Rhetorik nicht an erster Stelle. Für den internationalen Dialog sind sie essenziell. Gerade hat Deutschland in Peking eine Ausstellung zur "Kunst der Aufklärung" eröffnet. Am Beginn jeder Aufklärung steht das Bekenntnis zur Wahrheit. Solange China sein Verhalten mit den Besonderheiten seines Wertesystems erklärt, kann man sich derartige Kooperationen schenken."

Auch Chinas Staatsmedien haben mittlerweile über den Fall Ai Weiwei berichtet und damit ihr Schweigen gebrochen. So veröffentlichte die "Global Times", das auf englisch erscheinende Sprachorgan der Kommunistischen Partei, am Mittwoch einen Kommentar zum Thema. Der Tenor dort allerdings unterscheidet sich deutlich von dem der europäischen Presse. Die Zeitung schreibt:

"Ai Weiwei tut Dinge, die sich andere nicht herausnehmen. Er ist nah an die rote Linie des chinesischen Rechts gekommen."

Zusammengestellt von Esther Felden
Redaktion: Marion Linnenbrink