1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Eine Frage des Geldes

Oliver Samson23. Februar 2003

Wenn nach Flugzeugunfällen - wie kürzlich - in Meldungen von Maschinen „russischer Bauart“ zu lesen ist, klingt dies oft wie eine Erklärung der Absturzursache. Sind russische Maschinen wirklich unsicherer als westliche?

https://p.dw.com/p/3I7q
Im Flugbetrieb in aller Welt: die Tupolew 154Bild: AP

"Das ist schwierig zu bewerten", meint Georg Fongern von der Pilotenvereinigung Cockpit, dem Berufsverband der deutschen Verkehrsflugzeugführer und Flugingenieure. Die jetzt in Russland produzierten Maschinen entsprächen westlichem Niveau, seien jedoch noch recht selten im Einsatz. "Bis vor fünf Jahren wurde dort aber nach einer anderen Philosophie gebaut", etwa in der Triebwerkstechnik und bei der Elektronik. "Man muss es so hart sagen: Die Technologie russischer Flugzeuge ist einfach eine Generation älter." Und da die Sicherheitstechnik von Flugzeugen sich stetig verbessere, seien diese Maschinen zwar nicht so sicher wie Flugzeuge westlicher Bauart, aber auch nicht per se gefährlich.

Schädliche Konkurrenz

Auch Jurij Ryschkow, Mitglied der russischen Akademie der Wissenschaft, bestreitet die generelle technische Rückständigkeit der russischen Modelle nicht. Sie seien in den 50er und 60er Jahren entwickelt worden, "als die Machthaber zu fragen begannen, wieso wir moderne Flugzeuge brauchen, wenn wir die alten doch immer nachbauen können." Zudem habe die Konkurrenz unter den russischen Flugzeugbauern der Entwicklung geschadet: "Die ganze Welt hat bereits begriffen, dass die Konkurrenz bei der Herstellung von Flugzeugen sinnlos ist, die Bemühungen werden vereint. Bei uns stellen jedoch noch immer drei Unternehmen große Passagierflugzeuge her." Es sind Iljuschin, Antonow und Tupolew.

Die Tupolew (TU-) 154 ist seit 30 Jahren das Arbeitspferd aller Fluglinien des ehemaligen Ostblocks auf den Kurz- und Mittelstrecken. Fast 1.000 Jets wurden gebaut, noch etwa 500 sind über die ganze Welt verstreut im Einsatz. Verglichen mit der ähnlich alten und großen Boeing 737 hat die TU-154 sogar die bessere Unfall-Bilanz - zumindest nach russischer Lesart. Fongern bezweifelt diese Zahlen: Es sei unter Experten bekannt, dass bis 1990 Unfall-Statistiken zum Ruhme der sowjetischen Luftfahrt geschönt worden seien. Zuverlässige Zahlen seien nicht zu bekommen.

Mangelnde Wartung, überlastete Piloten

Fongern betont jedoch, er selbst habe kein Problem, etwa mit einer TU-154 zu fliegen – vorausgesetzt die Maschine sei entsprechend gewartet und die Piloten angemessen ausgebildet. Genau daran mangelt es aber allzu häufig: Es fehlt in der Dritten Welt, in Asien und in vielen GUS-Staaten häufig das Geld, um die Flugzeuge in einem gutem Zustand zu halten. Unzureichende Wartung verschlissener Maschinen, rückständige, international nicht kompatible Bodenkontrollen und überlastete Piloten können gerade bei extremen Wetterverhältnissen aus Flugreisen ein Himmelfahrtskommando machen. Die Sicherheit werde in manchen Fällen nur von den Piloten kontrolliert – weil diese lebend nach hause kommen wollten.

Bis 1990 war Aeroflot mit rund 11.000 Maschinen die mit Abstand größte Fluggesellschaft der Welt. Nach einer Berechnung der Fachzeitschrift "Aero" hat die ehemals sowjetische Gesellschaft zwischen 1973 und 2001 244 Maschinen verloren. Auf der Berechnungsgrundlage der Revenue Passenger Kilometers (geflogene Passagierkilometer) ist dies der zehntschlechteste Wert aller großen Fluggesellschaften. Mit dem Zerfall der Sowjetunion zerfiel auch die Aeroflot in zeitweilig über 500 Nachfolgegesellschaften – meist Klein- und Kleinstfluglinien, die sich wenig um internationale Sicherheits-Standards scherten. Nach 1992 hat sich die Absturzquote in Russland dementsprechend vervierfacht - dass Renommee sowjetischer Flugzeugbauer war damit gründlich ruiniert. "Aeroschrott statt Aeroflot", wie im Westen gehöhnt wurde.

Finanzmittel bestimmen Risiko

Diese Zeiten scheinen vorbei. Die internationale Organisation für Zivilluftfahrt (ICAO) attestierte im Juli 2001, dass fliegen in Russland nicht gefährlicher sei als anderswo. "Die Aeroflot hat sich gemacht," wie auch Fongern meint. Er würde dort ohne Bedenken zusteigen. Und bei anderen Airlines? Darauf will der Experte keine Antwort geben "sonst habe ich gleich morgen die Anwälte vor der Tür." Für Laien ist es Fongern zufolge schwierig die Sicherheit eines Flugzeugs einzuschätzen. Ein guter Anhaltspunkt sei dennoch die klassische Faustregel: je ärmer die Region, desto finanzschwächer die Fluggesellschaft, desto höher das Risiko. Dann werde das Fliegen möglicherweise wirklich zum russischen Roulette – auch in einer amerikanischen Maschine.