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"Eine Lücke, aber kein Ende"

18. Juli 2011

Das Ende der Ära der Space Shuttles ist noch lange nicht das Ende der US-amerikanischen Raumfahrt, sagt Gerd Gruppe, Raumfahrtexperte des DLR, im Interview mit DW-WORLD.DE.

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Dr. Gerd Gruppe, Mitglied des Vorstandes des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (Foto: DLR)
Gerd Gruppe: Das Ende der Space Shuttles ist ein großer EinschnittBild: DLR

Seit dem 1. April 2011 ist Gerd Gruppe im Vorstand des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) für das Raumfahrtmanagement zuständig.

DW-WORLD.DE: Herr Gruppe, was haben Sie während des letzten Shuttle-Starts gedacht?

Zunächst einmal war ich außerordentlich begeistert. Normalerweise bin ich - wie viele Ingenieure - eher zurückhaltend. Aber die technische Präzision und die schiere Kraft eines solchen Starts haben mich einmal mehr beeindruckt. Selbst in vier Kilometern Entfernung spürt man den Schalldruck der Rakete. Und vor allem auch die gemeinsame Begeisterung der Menschen.

Ich habe ingesamt fünf Start-Versuche und zwei Shuttle-Starts hinter mir. Zuletzt war ich dabei, als 2008 das europäische Raumlabor Columbus zur ISS gestartet ist. Auch damals war ich sehr beeindruckt.

Was bedeutet es denn Ihrer Ansicht nach für die US-amerikanische Raumfahrt, dass es jetzt kein Space-Shuttle-Programm mehr gibt und auch noch nicht feststeht, wodurch es ersetzt wird?

Space Shuttle Landung (Foto: NASA)
Ausgefeilte Technik, die nun stillgelegt wirdBild: dapd

Das ist ein sehr großer Einschnitt. Das Shuttle war immer ein Zeichen für technologische und konzeptionelle Überlegenheit der US-Amerikaner. Der frühere NASA-Chef Daniel S. Goldin hat einmal gesagt: "Was die Amerikaner stark macht, sind Visionen und Helden." Und ich glaube, in diesem Punkt sind sie den Europäern auch tatsächlich überlegen. Das Shuttle hat beide Elemente bedient. Das gibt es jetzt vorerst nicht mehr; man kann hier also mit Fug und Recht vom Ende einer Ära sprechen.

Sehen Sie denn darin eine Chance für die Deutschen und für andere Europäer gleichzuziehen?

Man kann die Entstehungsgeschichte, die mit dem Space Shuttle verbunden ist, nicht ohne Weiteres kopieren. Ein bisschen ging es bei dem Shuttle auch immer um den dahinter stehenden Wettlauf der politischen Systeme. Das Shuttle hat auch dazu beigetragen, dass bemannte Raumfahrt sozusagen ein bisschen alltäglicher wurde. Insoweit ist der letzte Flug der Atlantis ein großer Einschnitt. Ich sehe derzeit keine Nation, die ein vergleichbares Projekt stemmen könnte - schon allein aus finanziellen Gründen nicht.

Was bedeutet das Ende des Shuttle-Programms für die bemannte deutsche Raumfahrt - es gab ja auch deutsche Astronauten?

Das Thema bemannte deutsche Raumfahrt wird jetzt schwieriger, ist aber keineswegs ad acta gelegt. Wir haben mit Alexander Gerst einen fertig ausgebildeten deutschen Astronauten, und es gibt nach wie vor die Internationale Raumstation ISS, deren Existenz bis 2020 gesichert ist - und auch der bemannte Zugang über die Russen, der unbemannte über die Europäer mit dem Automatischen Raumtransporter ATV. Diesen sogenannten Helden-Aspekt gibt es also nach wie vor. Dies ist ein Aspekt, den man nicht unterschätzen darf: Über Astronauten regt man die Fantasie an. So kann man junge Menschen für Naturwissenschaften begeistern.

ESA-Hauptkontrollraum (Foto: ESA)
Hauptkontrollraum der ESA - Zusammenarbeit im All und auf der ErdeBild: ESA/Kwasnitschka

Wird die Raumfahrt durch das Ende des Shuttle-Programms noch internationaler?

Das Shuttle-Programm ist eine spezifisch US-amerikanische Sache. Die Internationale Raumstation ist ein weiterer großer Verdienst der Amerikaner. Das schmälert nicht die großen Leistungen der Russen beim Aufbau und der Versorgung der ISS. Auch die Japaner und die Europäer haben zu ihrem Erfolg beigetragen - darunter die Deutschen mit dem Columbus-Modul, das in Bremen gebaut worden ist und das von Oberpfaffenhofen aus gesteuert wird. Schon aus finanziellen Gründen werden viele Nationen gemeinsam große Anstrengungen unternehmen müssen, wenn man nach 2020 Vergleichbares auf die Beine stellen will.

Nebenbei bemerkt, Deutschland betreibt parallel zur bemannten Raumfahrt in sehr großem Umfang unbemannte Raumfahrt: zum Beispiel, um den Blick vom Weltall auf die Erde zu ermöglichen, sei es zu Klima-, Wetter-, Land- und Meeresbeobachtung oder zur Navigation. Deutschland ist auch stark beim Einsatz von Raumsonden zur Fernerkundung fremder Galaxien. Es gibt eine langjährige Tradition der Zusammenarbeit, nicht nur innerhalb Europas über die ESA, sondern auch mit den USA. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und die NASA betreiben mehr als einhundert gemeinsame Projekte. Und diese Kooperation wird fortgeführt werden. Die Erfahrung aus dem Technologiebereich zeigt: Wenn Partner einmal angefangen haben zu kooperieren, dann setzen sie das oft in weiteren Projekten fort, weil man im Projekt erfahren hat, dass zwei zusammen eben mehr leisten können als der Einzelne.

Was sagen Sie Raumfahrt-Kritikern, die das für Geldverschwendung halten?

Ich würde die Betrachtung nicht auf das Thema Kosten reduzieren. Dann dürfte man viele andere Dinge auch nicht tun. Die Raumfahrt kann einige Dinge leisten, die von der Erde aus nicht möglich sind. So lässt sich die Fernerkundung des Alls vom Weltraum aus viel besser betreiben als von der Erde, weil man die störenden Einflüsse der Atmosphäre umgeht. Hinzu kommt die Erforschung der Asteroiden und die Landung dort. Diese Art von Grundlagenwissenschaft halte ich für eine klassische Staatsaufgabe: Man betreibt sie gemeinsam, und sie wird in der Regel aus Steuermitteln bezahlt. Die anwendungsorientierte Raumfahrt wie Navigation und Kommunikation ist längst unverzichtbarer Bestandteil unseres Alltags geworden.

Darüber hinaus bin ich davon überzeugt, dass wir in einer globalisierten Welt das Zusammenleben gestalten und nicht dem Zufall der Märkte überlassen dürfen. Dazu brauchen wir auch Instrumente, mit denen wir Vereinbarungen überprüfen können - egal, ob es sich um den Schutz der Schifffahrtswege, die Einhaltung von CO2-Emissionen oder die Gestaltung von Wiederaufforstung handelt. All das kann man vom Weltall aus unbestechlich messen. Ich bin überzeugt, hierzu wird die Raumfahrt viel beitragen.

Das heißt, das Ende des Shuttleprogramms ist ganz sicher nicht das Ende der Raumfahrt?

Weder das Ende der Raumfahrt noch das Ende der bemannten Raumfahrt. Zugegeben: Es ist eine Lücke entstanden. Aber die Raumfahrt - auch die amerikanische - hat eine längere Historie als das Shuttle. Es gab bemannte Raumfahrt vor dem Shuttle, und es gibt auch bemannte Raumfahrt nach dem Shuttle - und mit Sicherheit werden auch nach dem Ende der Shuttle-Ära US-Astronauten wieder eigene modernere Raumfahrzeuge im All steuern und zu neuen Zielen aufbrechen.

Interview: Christina Bergmann
Redaktion: Nicole Scherschun