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"Eine neue Phase in Thailands Krise"

Rodion Ebbighausen7. März 2014

Schon fünf Monate dauert die politische Krise in Thailand. Die Straßenproteste klingen ab, denn der neue Kampfplatz sind die Gerichte, wie unsere Experten erklären.

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Thailand Streik in der thailändischen Hauptstadt Bangkok
Bild: DW/C. Johnson

Deutsche Welle: Die Demonstranten der Opposition in Thailand haben einige Kreuzungen in der Hauptstadt Bangkok geräumt. Ist die Krise damit überstanden?

Pravit Rojanaphruk: Wir kommen in eine neue Phase des Konflikts. Erstens hat die vom "Volkskomitee für demokratische Reformen" (PDRC) geführte Opposition erkannt, dass es effektiver ist, ihre Anhänger an einem Ort zu konzentrieren, da die Zahl der Demonstranten in den letzten Wochen stetig abgenommen hat.

Zweitens ist der Führer der Proteste gegen die Regierung, Suthep Thaugsuban, zuversichtlich, dass die "Nationale Anti-Korruptionskommission" (NACC) gegen Interims-Ministerpräsidentin Yingluck Shinawatra ermitteln und sie stürzen wird. Nicht zuletzt verlässt sich die Opposition auf das Militär und die Option eines Putsches, da sie immer wieder betont, dass die Armee an ihrer Seite steht. Deshalb glaube ich nicht, dass die Krise bald vorüber sein wird.

Marc Saxer: Ich stimme Pravit zu. Es gibt einen Strategiewechsel auf Seiten der Opposition. Die Straßenproteste wurden in die Gerichtssäle verlegt.

Aber die Wahlen gehen, wenn auch nur sehr langsam, weiter. Glauben Sie, dass die Konfliktparteien ein Ergebnis akzeptieren würden?

Saxer: Die Wahlkommission hat für die Nachwahlen etwa sechs Monate Zeit veranschlagt. Unter diesen Bedingungen hat die Opposition keinerlei Anreiz, irgendein Ergebnis anzuerkennen. Tatsächlich haben die Demokraten (d.h. die Opposition - Red.) die Wahlen mehrfach verfassungsrechtlich infrage gestellt und mit einer Klage vor dem Verfassungsgericht gedroht.

Porträt - Marc Saxer
Thailand-Experte Marc SaxerBild: privat

Bei all diesen Verzögerungen und Tricksereien, glauben Sie, dass Wahlen als Mittel der Politik in Thailand überhaupt noch ein akzeptiertes Mittel sind?

Pravit: Den Menschen in Thailand ist absolut klar, dass die internationale Gemeinschaft erwartet und im Zweifel auch einfordern wird, dass die thailändische Regierung durch Wahlen legitimiert ist. Selbst die Opposition ist für Wahlen, allerdings erst nach Reformen durch einen nicht gewählten und von ihr eingesetzten "Volksrat".

Es ist auch klar, dass Thailand ohne Wahlen international nicht respektiert werden würde. Ich hoffe, dass das "Volkskomitee" begreift, dass die Macht geteilt werden muss, und dass sie die Unterstützer der Regierung nicht ignorieren kann. Das gleiche kann übrigens über die Unterstützer der Regierung gesagt werden, die ebenfalls glauben, alles könne nach ihren Vorstellungen gehen.

Wie stehen die Chancen, dass Thailand in der nächsten Zeit eine stabile und effektive Regierung haben wird?

Saxer: Auf lange Sicht bin ich sehr optimistisch. Thailand hat alles, was es braucht, um diese Transformationskrise zu meistern. Wir beobachten heute den Wandel von einer feudalistischen Ordnung zu einer Ordnung durch Mehrheitsentscheid. Was Thailand braucht, ist ein neuer Gesellschaftsvertrag. Der Gesellschaftsvertrag kann nur auf Basis eines gesellschaftlichen Kompromisses geschlossen werden. Die Eliten [d.h. vor allem die Opposition, d. Red.] müssen akzeptieren, dass nur noch der demokratische Weg möglich ist und dass sie, um an die Macht zu kommen, Mehrheiten hinter sich versammeln müssen. Auf der anderen Seite müssen die Menschen begreifen, dass die Eliten weiterhin ein Machtfaktor bleiben werden.

Viele Gesellschaften waren der Lage, einen solchen Kompromiss zu finden. In Thailand ist das leider bisher noch nicht der Fall. Beide Seiten glauben, dass sie den Kampf für sich entscheiden können. Aber die letzten Jahre und Monate haben das Gegenteil bewiesen. Die Politik steckt in der perfekten Sackgasse. Hoffentlich begreifen die Menschen rechtzeitig, dass die Kosten für diesen politischen Kampf höher sind als das Aushandeln eines neuen Gesellschaftsvertrags.

Sind Sie als Thai ebenfalls optimistisch, dass es am Ende eine neue, stabile Gesellschaft geben wird?

Pravit: Ja und Nein. Am Ende wird Thailand seinen neuen Gesellschaftsvertrag finden. Aber die Frage ist doch: Zu welchem Preis? Wird es mehr Tote und Verletzte geben? Kommt es zu einem Bürgerkrieg? Wird das Land in zwei Teile zerfallen? Viele Länder, wie etwa die USA, haben einen hohen Blutzoll entrichtet, bevor sie gelernt haben, politische Probleme ohne Gewalt zu lösen. Ich fürchte, dass Thailands Kontrahenten Politik immer noch in einem sehr moralischen Kontext sehen: es ist für sie ein Kampf Gut gegen Böse. Unter diesen Umständen gibt es kaum Raum für Verhandlungen. Tatsächlich geht es aber in der Politik um Zugeständnisse und Kompromisse.

Porträt - Pravit Rojanaphruk
Journalist Pravit RojanaphrukBild: privat

Welche Rolle spielt die internationale Gemeinschaft?

Pravit: Es ist sehr wichtig, dass die internationale Gemeinschaft ein starkes, aber auch diplomatisches Signal sendet. Die internationale Gemeinschaft sollte klarmachen, dass beide Seiten sich bemühen sollten, den Konflikt friedlich zu lösen, und dass ein erneuter Militärputsch inakzeptabel ist. Leider glaubt die Opposition, die westlichen Medien seien von Thaksin Shinawatra und seinem Geld beeinflusst worden.

Saxer: Die USA, die Europäische Union, Japan und China haben wiederholt betont, dass der konstitutionelle Prozess weitergehen und jede Form von Gewalt vermieden werden muss. Darin ist sich die internationale Gemeinschaft einig. Verglichen mit der Ukraine gibt es in Thailand allerdings kaum geopolitische Rivalitäten. Insofern ist der Ansatz der internationalen Gemeinschaft sehr pragmatisch. Sie unterstützen das Entstehen einer demokratischen Ordnung und entmutigen diejenigen, die versuchen das Rad der Geschichte zurückzudrehen. Thailand hat, wie gesagt, alles, was es braucht: die Menschen, natürliche Reichtümer und eine Lage zwischen China, Indien und Südostasien. Ich denke, Thailand hat eine aussichtsreiche Zukunft.

Pravit Rojanaphruk ist ein bekannter thailändischer Journalist, der für verschiedene Medien arbeitet.

Marc Saxer ist der Rektor der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bangkok.