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Eine neue unendliche Geschichte in Südosteuropa?

Klaus Dahmann1. Februar 2002

- Die EU vermittelt in der Montenegro-Frage

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Köln, 1.2.2002, DW-radio

Der montenegrinische Präsident Milo Djukanovic drängt seit Jahren auf die Unabhängigkeit der jugoslawischen Teilrepublik von Belgrad. Sein Vorhaben, darüber ein Referendum abzuhalten, hat er allerdings mehrfach verschieben müssen - auf Druck der Europäischen Union. Denn die EU setzt auf eine Verhandlungslösung. Zwei Gesprächsrunden mit den Führungen Montenegros, Serbiens und Jugoslawiens über die künftige Staatsform sind bisher ergebnislos verlaufen. Am Montag (4.2.) soll nun in Brüssel weiter verhandelt werden.

Montenegro droht zu einer neuen unendlichen Geschichte in Südosteuropa zu werden - und die Europäische Union tut gut daran, das mit allen Kräften zu vermeiden. Eines ist dabei klar: Der Standpunkt der Brüsseler Diplomatie -weitgehende Autonomie für Montenegro ja, aber keine vollständige Unabhängigkeit von Jugoslawien - ist, nüchtern betrachtet, der einzig gangbare Weg.

Zum einen würde eine Loslösung der Teilrepublik ein fatales Signal in Richtung Kosovo senden: Wie sollte man den dortigen Albanern erklären, warum die Montenegriner ihre Unabhängigkeit bekommen, aber sie weiter darauf warten müssen? Die UN-Resolution 1244, die den Verbleib des Kosovo innerhalb Jugoslawiens festschreibt, wäre dann nicht mehr das Papier wert, auf dem sie steht. Und das würde eine erneute Destabilisierung der ganzen Region nach sich ziehen.

Zum anderen stellt sich die Frage, wie ein unabhängiges Montenegro wirtschaftlich überleben könnte. So banal es klingt: Von einem eigenen Staat allein wird man nicht satt - und Montenegro ist nach wie vor eine der wirtschaftlich schwächsten Regionen Südosteuropas. Es gibt kaum Industrie, der Tourismus an der Adria kommt nicht in Gang, dazu litt Montenegro - als Teil Jugoslawiens - jahrelang unter Wirtschaftssanktionen. Entsprechend hoch ist die Arbeitslosenquote, das Land hängt am Tropf der westlichen Staaten.

Dass der montenegrinische Präsident Milo Djukanovic als einziges Zahlungsmittel die D-Mark - und jetzt folgerichtig den Euro - eingeführt hat, ist nichts als Augenwischerei. Zwar ist es ihm mit diesem eigenmächtigen Schritt gelungen, Belgrad und die internationale Gemeinschaft unter Druck zu setzen und seine Landsleute zu beeindrucken. Doch durch Symbolik allein erreicht man keine Wirtschaftskraft. Statt dessen blühen Korruption und Kriminalität.

Ob die Brüsseler Verhandlungsrunde über den künftigen Status Montenegros bereits den Durchbruch bringt, ist fraglich. Schließlich steht für alle Beteiligten - für Djukanovic ebenso wie für den serbischen Premier Zoran Djindjic und den jugoslawischen Präsidenten Vojislav Kostunica - auch persönlich viel auf dem Spiel.

Im Falle Djukanovic ist das offensichtlich. Seine Mehrheit im Parlament ist hauchdünn. Und sollte er das wichtigste Wahlversprechen - die Unabhängigkeit Montenegros - nicht durchsetzen, könnte er bei der nächsten Stimmabgabe der große Verlierer sein. Djukanovics allzu einfache Rechnung - nämlich, dass er für sein Opponieren gegen Slobodan Milosevic vom Westen mit einem eigenständigen Staat belohnt wird - ist nicht aufgegangen.

Denn für den endgültigen Abgang des unbelehrbaren Despoten sorgten andere: Kostunica und Djindjic. Kostunica schaffte es, die Massen zu mobilisieren, um Milosevic vom Präsidenten-Thron zu stürzen. Djindjic - als serbischer Ministerpräsident - setzte schließlich Milosevics Auslieferung an das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag durch. Weswegen er sich mit seinem einstigen Verbündeten Kostunica bewusst entzweite.

In der Montenegro-Frage wittert der Taktiker Djindjic nun seine große Chance. Unabhängigkeit für die Nachbarrepublik, das weiß er, wird es kaum geben. Die EU ist dagegen - und natürlich auch Kostunica. Denn wenn die zwei jugoslawischen Teilrepubliken Serbien und Montenegro getrennte Wege gingen, wäre Kostunica seinen Job los - als Präsident eines nicht mehr existenten Staates. Djindjic setzt

deshalb auf die aussichtsreichere Variante: Jugoslawien als Verbund zweier gestärkter Republiken. Das hieße nämlich, dass auch er, Djindjic, mehr Macht bekäme - und für Kostunica nur noch eine Nebenrolle übrig bliebe.

Dass eine Schlichtung in der Montenegro-Frage notwendig ist, hat man in Brüssel wohl oder übel akzeptiert. Doch worauf man sich auch immer letztendlich einigen mag, die wirklich drängenden Probleme in Montenegro - Arbeitslosigkeit, Korruption, schleppende Demokratisierung - werden auf diese Weise nicht gelöst. (fp)