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Eine prägende Persönlichkeit

2. Dezember 2009

Marion Gräfin Dönhoff galt als die Grande Dame des Journalismus. Ihre Meinung war gefragt - auch bei Altbundeskanzler Helmut Schmidt. Ein Interview mit ihm anlässlich ihres 100. Geburtstages am 2. Dezember.

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Marion Gräfin Dönhoff (Foto: picture-alliance)
Gräfin Dönhoff (1909-2002)Bild: picture-alliance /

Marion Gräfin Dönhoff war berühmt für ihre politischen Kommentare. Ende der 1960er Jahre übernahm sie die Chefredaktion der renommierten Wochenzeitung "Die Zeit", Anfang der siebziger wechselte sie in die Position der Herausgeberin. Sie arbeitete viele Jahre mit Helmut Schmidt zusammen, dem sie eine gute Kollegin und Freundin war.

DW-WORLD: Herr Schmidt, Sie sind bis heute Mitherausgeber der Zeit. Können Sie sich noch an Ihre erste Begegnung mit Marion Gräfin Dönhoff erinnern?

Helmut Schmidt: Die liegt mehr als ein halbes Jahrhundert zurück, hier in Hamburg. Ich kannte sie von ihren Aufsätzen in der Wochenzeitung "Die Zeit". Ich war ein regelmäßiger Leser. Eines Tages schrieb sie einen Aufsatz, in dem sie Herbert Wehner - einen ehemaligen deutschen Kommunisten, der inzwischen Sozialdemokrat war - gegen wüste Angriffe verteidigte. Daraufhin schrieb ich ihr einen Brief: "Sehr verehrte gnädige Frau usw." und bedankte mich für diesen Aufsatz. Ein oder zwei Jahre später trafen wir uns zufällig im Flugzeug. Das muss 1958/59 gewesen sein und so lange kennen wir uns.

Was beeindruckte Sie an ihrer Persönlichkeit?

Marion Gräfin Dönhoff, Chefredakteurin der Wochenzeitung 'Die Zeit' - aufgenommen am 24.02.1972 in Hamburg (Foto: dpa)
Marion Gräfin Dönhoff 1972Bild: picture-alliance/ dpa

Die Klarheit ihrer Liberalität, die Klarheit ihrer Gedanken. Aus meiner Sicht zerfällt Marion Dönhoffs Leben in zwei ganz verschiedene Teile. Der erste Teil ist ihre Jugend bis etwa zum 30. Lebensjahr in Ostpreußen. Kind eines adligen Grundbesitzers, Teil der High Society, ein bisschen verschwägert mit dem polnischen Adel und gleichzeitig gut bekannt mit den Leuten, die am 20. Juli 1944 Hitler umbringen wollten. Einige ihrer Freunde sind dann ums Leben gebracht worden. Sie selber ist davon gekommen. Die zweite Hälfte ihres Lebens fängt hier in Westdeutschland an, als Journalistin. Es war ein ganz anderes Leben. Nicht arm, aber wirklich nicht mehr reich. Kein Leben mehr in Schlössern. Sie war von ganz stringenter Moralität. Sie war durchaus tolerant, aber nicht gegenüber Intoleranz. Und nicht tolerant gegenüber Immoralität. Außerdem war sie eine gute Zeitungsschreiberin.

Fast 60 Jahre hat sie für "Die Zeit" gearbeitet, erst als Journalistin, dann als Chefredakteurin und schließlich als Herausgeberin. Die Zeit war "ihre Heimat, ihre Familie" wie sie selbst sagte. Inwiefern hat sie das Profil der Zeitung geprägt?

Gegenüber den anderen Redakteuren war sie eine prägende Persönlichkeit. Nicht nur durch das, was sie schrieb, sondern ebenso im täglichen Gespräch. Sie war eine Autorität. Beinahe eine absolute Autorität, wenn es nicht außerdem den Verleger und Eigentümer gegeben hätte. Sie hat das geschrieben, was sie dachte. Als "Die Zeit" einmal ihren Weg zu verlassen schien, ist sie nach England gegangen. Später ist sie wiedergekommen, weil sie jetzt die Zeitung machen konnte. "Die Zeit" war "ihre" Zeitung. Sie hat danach nichts mehr geändert. Sehr viel später, als sie nicht mehr Redakteurin sondern Herausgeberin war, war sie nicht immer einverstanden mit dem was in der Zeitung stand. Dann hat sie in der Woche darauf einen eigenen Artikel geschrieben. Ihre Autorität war ungebrochen bis zu ihrem Tode. Wir haben in den letzten achtzehn, neunzehn Jahren ihres Lebens beinahe jeden Tag miteinander geredet. Wenn sie eine Frage hatte, kam sie zu mir. Wenn ich eine Frage hatte, bin ich zu ihr gegangen. Wir haben uns gut verstanden. Sie war neun Jahre älter als ich und hatte ein gutes Stück mehr Lebenserfahrung. Ich dagegen war ein ehemaliger Politiker, der erstmal lernen musste, wie man Zeitung macht.

Marion Gräfin Dönhoff wird von Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt mit Handkuss begrüßt (Foto: AP)
Preisverleihung in Düsseldorf 1988 - Marion Gräfin Dönhoff wird von Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt mit Handkuss begrüßt. Dönhoff wurde für ihr Lebenswerk ausgezeichnet.Bild: AP

Sie hat einmal gesagt, ein politisches Amt könne sie nicht reizen, weil sie als Journalistin viel bessere Einwirkungsmöglichkeiten habe. Hat sie Ihrer Meinung nach politische Wirkung erzielt?

Sie hat über ihren Journalismus erhebliche Wirkung in Deutschland erzielt, beispielsweise was die sogenannte Ostpolitik gegenüber Polen, Russland und gegenüber der DDR anging. Da war sie einer der Pfadfinder, der Wegbereiter in den 1960er Jahren. Wenn Sie aber auf das Angebot eingegangen wäre als Bundespräsident zu kandidieren, dann hätte sie auch eine große Wirkung erzielt. Sie war eine wirkungsvolle Person.

Verleihung Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 1971 (Foto: dpa)
1971 erhält Dönhoff als erste Journalistin den Friedenspreis des Deutschen BuchhandelsBild: picture-alliance / dpa

Marion Dönhoff forderte in ihren Artikeln immer wieder die Aussöhnung mit dem Osten, obwohl sie 1945 vor den Russen flüchtete und damit ihre geliebte Heimat Ostpreußen verlassen musste. Wie bewerten Sie die Wirkung Marion Dönhoffs bei ihrem Eintreten für Verständigung mit dem Osten?

Die Nachhaltigkeit kann ich nicht beurteilen, aber wahrscheinlich war ihre stärkste Wirkung nicht in Polen, sondern in Deutschland auf die deutsche Politik Polen gegenüber. Da gab es Marion Dönhoff, es gab einen Kreis in der evangelischen Kirche und es gab einen Kreis in der katholischen Kirche. Im Jahre 1969 kam es zu der Kanzlerschaft von Willy Brandt und man wußte: Das, was von diesen Kreisen und von Marion Dönhoff vorher geschrieben worden war, ist Regierungspolitik. So ist es zu den drei Verträgen gekommen mit Russland, mit Polen und mit der DDR.

Wie groß war ihr Einfluss auf die deutsche Politik?

Das kann man nicht messen. Aber ich zum Beispiel habe sie immer gelesen, ob ich Minister für Verteidigung oder Finanzen oder ob ich Regierungschef war. Ich habe sie immer gelesen.

Helmut Schmidt in seinem Büro (Foto: Justyna Bronska)
Helmut Schmidt in seinem Büro der Wochenzeitung "Die Zeit"Bild: DW/Bronska

Und hat sie Ihre politischen Entscheidungen beeinflusst?

Wir stimmten meistens überein.

Sie hat studiert, promoviert, sie war eine erfolgreiche Journalistin und Publizistin. Wie konnte sie sich als Frau in den Zeiten durchsetzen, als Deutschland noch eine Männerdomäne war?

Ich glaube oder ich halte für möglich, dass der Mann, den sie liebte, im Krieg gefallen ist und dass sie daraufhin beschlossen hat, sich auf ihre eigenen Beine zu stellen, und dazu war sie Mann genug.

Wodurch wird Marion Gräfin Dönhoff in Erinnerung bleiben?

Journalisten hinterlassen selten Spuren. Das ist die Konsequenz dessen, dass sie für den Tag und für die Woche schreiben. Wenn sie aber außerdem Bücher schreiben, dann erzielen sie bleibende Wirkung. Marion Dönhoff hat ein paar Bücher geschrieben, die bleiben werden. Darunter "Namen die keiner mehr nennt", das sich mit ihrem abenteuerlichen Ritt aus Ostpreußen bis nach Westdeutschland beschäftigt. Journalisten bleiben selten in Erinnerung. Sie wird vielleicht eine der wenigen sein, die in Erinnerung bleiben.

Das Interview führte Justyna Bronska
Redaktion: Daniel Scheschkewitz / Petra Lambeck