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"Eine Sache persönlicher Überzeugung"

7. Oktober 2003

- Streit um schlesische Nationalität dauert an

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Warschau, 6.10.2003, PAP, poln.

Der Streit um die schlesische Nationalität, zu der sich bei der letzten Volkszählung über 173 000 Menschen bekannt haben, macht die Schlesier immer aktiver. Nach Meinung von Soziologen bekundet aber mindestens ein Teil dieser Gruppe auch die Bereitschaft, sich für die Region zu engagieren.

Die schlesische Nationalität war Thema einer Debatte am Montag (6.10.) in Kattowitz, die der Sejmik (das Parlament - MD) der Woiwodschaft Schlesien und das Schlesische Zentrum für kulturelles Erbe organisiert hatten. Teilgenommen haben daran Politiker aus der Region, Wissenschaftler und Vertreter der Kultur.

Der Streit bleibt ungelöst, und sowohl die Befürworter als auch die Gegner der Anerkennung der schlesischen Nationalität blieben bei ihrer Meinung. Die Zugehörigkeit zu deklarieren reiche nicht aus, um eine ethnische Gruppe als Nationalität anzuerkennen, meinen Soziologen. Es reicht aus, denn es ist eine Sache der persönlichen Überzeugung, behaupten Vertreter der Bewegung für die Autonomie Schlesiens, die damit rechnen, dass die Angelegenheit einen positiven Abschluss beim Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg finden wird.

Professor Marek Szczepanski, Soziologe an der Schlesischen Universität, der an der Debatte nicht teilnahm, steht auf dem Standpunkt, die Tatsache, dass etwa 150 000 Bewohner der Woiwodschaft Schlesien und etwa 23 000 Bewohner der Woiwodschaft Oppeln erklärt haben, der schlesischen Nationalität anzugehören, könne nicht bedeuten, dass diese Nationalität soziologisch anerkannt wird. "Für den Soziologen ist die Tatsache, dass 173 000 Menschen in der Woiwodschaft Schlesien und der Woiwodschaft Oppeln die schlesische Nationalität deklariert haben, sehr wichtig. Das bedeutet, dass ein Teil von ihnen bereit ist, sich für die Region einzusetzen. Wenn es den Befürwortern dieser Option gelingt, diese Menschen in die tatsächliche Umgestaltung der Region einzubeziehen, dann wird das ein Erfolg sein", meint der Professor.

Das Bekenntnis zur schlesischen Nationalität könnte nach seiner Ansicht zum Teil die Konsequenz der Enttäuschung über die bisherigen Folgen der Veränderungen in der Region sein. Es ist gleichzeitig ein Erfolg der Bewegung für die Autonomie Schlesiens, die zu diesem Bekenntnis aufgerufen hat. Prof. Szczepanski erinnerte daran, dass es in Polen zum ersten Mal für die Allgemeinheit die Möglichkeit gibt, zur eigenen Nationalität Stellung zu nehmen.

Der Vorsitzende der Bewegung für die Autonomie Schlesiens Jerzy Gorzelik, der vor sieben Jahren versucht hatte, den Volksverband schlesischer Nationalität zu registrieren, ist der Ansicht, das Bekenntnis eines so großen Teils der Bewohner der Region sei zu respektieren. Er sprach sich für eine schlesische Autonomie nach dem Vorkriegsmuster aus, als die Woiwodschaft Schlesien einen eigenen Sejm und einen eigenen Fiskus hatte sowie nach dem Muster heutiger Regionen der Europäischen Union.

Nach Meinung Gorzeliks kann Polens Beitritt zur EU sehr hilfreich dabei sein, den Regionen den richtigen Platz in den einzelnen Staaten einzuräumen. Er berief sich auf das Beispiel Spaniens und seiner autonomen Region Katalonien. "Autonomie ist eine Chance, und die Chancen auf Autonomie werden immer größer. In einem vereinigten Europa ist Autonomie kein Hirngespinst, sondern wird zur generellen Lösung für Regionen wie Oberschlesien", meint Gorzelik. "Autonomie bedeutet auch Verantwortungsgefühl für die Menschen, die hier leben und Mitverantwortung für die Region. Zurzeit haben sie das Gefühl, dass, was immer sie auch tun, ihre Energie und ihre Mühen nichts einbringen - wie es Jahrzehnte lang war. Die Autonomie kann sie aus diesem Zustand der Hoffnungslosigkeit und der Apathie herausführen, und darauf zählen wir", fügte er hinzu.

Prof. Szczepanski hingegen steht auf dem Standpunkt, dass die Bandbreite der Probleme, die sich in Schlesien angehäuft haben und die unter anderem mit der Umstrukturierung der Industrie zusammenhängen, so umfangreich ist, dass eine autonome Woiwodschaft nicht im Stande wäre, damit fertig zu werden. Hier sei das Engagement vieler Institutionen erforderlich, nicht nur regionaler. Ob die EU jedoch ein Bündnis von 25 Staaten oder eher von etwa 200 Regionen sein werde, werde die Zeit zeigen.

Nach den Ergebnissen der letzten Volkszählung ist die Bevölkerungsgruppe schlesischer Nationalität die größte "nationale Minderheit" in Polen. (...) (TS)