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Eine Stadt mobilisiert gegen Pegida

Naomi Conrad, Leipzig13. Januar 2015

In Leipzig gehen "Pegida"-Anhänger zum ersten Mal auf die Straße – und tausende Bürger halten dagegen. Eine Reportage von Naomi Conrad aus einer Stadt voller Straßensperren und Polizeiautos.

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Demonstranten mit Plakat "Willkommen in Leipzig (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Der kleine Junge, ein riesiges handbemaltes Pappschild in den Händen, verzieht verächtlich den Mund. Die Frage, warum er denn demonstriere, ist offensichtlich einfach viel zu dumm. "Ist doch klar, gegen 'Pegida'!" Er deutet auf sein Schild, auf dem in bunten, krakeligen Buchstaben "Bunt ist besser" steht. Dann dreht er sich demonstrativ weg. Er hat besseres zu tun: Demonstrieren nämlich.

Um ihn herum schieben sich die Menschenmassen langsam durch eine Seitenstraße, über ihnen flattern die grellroten Fahnen der Antifa, aber auch orange Banner der Gruppe "Refugees Welcome" (Flüchtlinge willkommen) sowie der Grünen und der SPD: 30.000 Menschen, das berichtet die Lokalpresse am Abend, ziehen durch die Stadt, um gegen den ersten Aufmarsch der "Legida" in Leipzig zu demonstrieren. Seit Wochen gehen die "Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes", kurz "Pegidia", in verschiedenen Städten in Deutschland auf die Straße – jetzt auch in Leipzig.

Die "ganze Stadt" mobilisiere dagegen, sagt Sonja Brogiato, die Sprecherin des Flüchtlingsrates Leipzig, am Vormittag. Zwischen einem Absinth-Laden und einem Institut für Fremdsprachen, führt ein düsterer Treppenaufgang zu ihrem Büro. In den vergangenen Tagen hat sie immer wieder Emails bekommen von Menschen, die aus der ganzen Welt schreiben und fragen: "Was ist da eigentlich los bei euch in Leipzig?" Sie zuckt die Schultern: Leipzig, die Stadt, die eigentlich Vorbildcharakter in Deutschland habe, weil Flüchtlinge von Anfang an Deutschkurse besuchen dürften, oft dezentral untergebracht würden, "und von jeder Ecke gefördert werden". Wo hunderte sich ehrenamtlich für Flüchtlinge engagierten, obwohl der Anteil der Flüchtlinge, wie in ganz Sachsen, im Vergleich zu anderen Bundesländern doch recht gering sei - diese Stadt also, fragen sie die Leute: Was stimmt da nicht?

Hilft reden?

Es gebe einfach, sagt Brogiato, auch die andere Seite, die Seite, die eben nicht Flüchtlinge willkommen heiße: Ressentiments und Ablehnung, ein diffuser Mix von ganz verschiedenen Ängsten, die sich in "Pegida" bündeln. Und mit diesen Menschen, sagt sie, müsse man einfach reden, "nur dann lösen sich Ressentiments auf."

Draußen, ein paar Straßen weiter, beobachtet ein Mann mit einer Jeansjacke und Springerstiefeln, wie sich Polizisten in Kampfausrüstung, die Helme unter dem Arm, auf dem Marktplatz positionieren. Er ist, das sagt er, dem Aufruf von "Metall gegen Rechts" gefolgt, "damit das Scheiß-'Pegida'-Pack hier nicht Fuß fasst". Er guckt grimmig: Nein, Rechte hätten in Leipzig rein gar nichts zu suchen – und reden könne man mit denen ja wohl auch nicht.

Später, beim Friedensgebet in der überfüllten Nikolaikirche, vor der sich die Menschen drängen, wird Pfarrer Bernhard Stief vor solchen Worten warnen: Man dürfe die "Legida"-Leute nicht als Nazis und Dummköpfe abstempeln. "Wenn die Menschen Sorgen haben, muss ein Dialog in Gang kommen." Nach der Fürbitte, "Gott, bewahre uns vor Hass und Nationalismus", tritt Leipzigs Bürgermeister Burkhard Jung (SPD), auch er hat zur Gegendemonstration aufgerufen, ans Mikrophon und vor die Massen: Man könne, sagt er mit ernster Stimme, über alle Probleme reden, solange, "und das muss glasklar sein", die Grundlage gelte, dass alle Menschen gleich seien.

Oberbürgermeister Burkhard Jung (Foto: dpa)
Oberbürgermeister Jung (Mitte) beim Friedensgebet in der NikolaikircheBild: picture-alliance/dpa

"Potpourri an Unzufriedenheit und Unverständnis"

Hinter einer Barrikade aus Polizeiautos haben sich die "Legida"-Demonstranten versammelt: Eine junge Frau, die sich an einen kahlrasierten Mann lehnt, hält stolz eine schwarz-rot-gelbe Laterne in die Höhe. Sonst sind es hauptsächlich Männer, die sich um die Bühne drängen, Deutschlandfahnen schwenken und "Wir sind das Volk! Wir sind das Volk!" skandieren - ein Ruf, der an die Montagsdemonstrationen aus dem Jahr 1989 erinnern soll, als die Gegner der SED-Diktatur Freiheit forderten. Dass die "Pegida"-Demonstranten den Ruf nun aufnehmen, sei "einfach unpassend", sagt Tobias Hollitzer, der Leiter des Stasi-Museums "Runde Ecke", der 1989 mit demonstrierte.

Die Forderungen der "Legida" hält er für gefährlich, nennt sie ein "Potpourri an Unzufriedenheit und Unverständnis" mit deutlich rechter Positionierung, aus dem jeder sich etwas Passendes herausgreifen könne. Und das, sagt er, mache die Bewegung so gefährlich.

Demonstrationszug (Foto: dpa)
Machtvolle Demonstration gegen die "Legida"-BewegungBild: picture-alliance/dpa

Ein junger Mann, seine Kapuze tief ins Gesicht gezogen, verteilt Zettel, "hier das Positionspapier der 'Pegida'". Was denn darin stehe? Der Mann deutet auf den Zettel, "Verschärfung des Strafrechts, das ist doch ganz gut." Punkt 5, ein paar Zeilen unter "Abkehr von Multikultur" und "massiver Personalaufbau bei Polizei und Zoll", steht noch "Gegen Gender Mainstreaming" Was das denn bedeute, das wisse er auch nicht so genau: "So weit hatte ich gar nicht gelesen."

Eigentlich sei er nur wegen seinem Kumpel hier, der alles mit organisiere. Dann deutet er auf einen anderen Mann, schwarzer Kapuzenpulli, kurzer Bart, der ebenfalls einen Batzen Papiere in der Hand hält. "Der ist sogar Muslim!" Was er hier mache? Der Mann grinst: "Ist doch klar, ich bin gegen Islamisten, Terror und so." Da müsse man doch irgendwas machen.

Nicht die letzte Demo

Als der Zug sich in Bewegung setzt, dreht ein Nachbar die Musik auf: Ode an die Freude, die Europahymne schallt über den Platz. Die Demonstranten, die im Scheinwerferlicht von der Bühne zu einer düsteren Menschenmasse verschwimmen, ziehen weiter, vorbei an den Gegendemonstranten, die hinter den Polizeibarrikaden "Nazis raus! Nazis raus" und "Nieder mit 'Pegida'" skandieren und ihre Plakate in die Höhe strecken.

Später, auf dem Hauptplatz, drängen sich die Menschen um die Bühne: Nächsten Montag wollten die "Legida"-Leute wieder demonstrieren, schreit ein Sprecher in ein Mikrophon. "Da müssen wir wieder gegenhalten." Doch seine Stimme geht unter in den Buh-Rufen, den Trommeln und Rasseln, die plötzlich zwischen den Häuserwänden hallen: Der "Legida"-Zug passiert die Nachbarstraße.

Eine junge Frau dreht sich zu ihrem Nachbarn, schreit gegen den Lärm: "Vielleicht trauen die sich auch nicht mehr auf die Straße." Sie grinst, ihr Freund zuckt die Schultern.