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Eine Teilung mit dramatischen Folgen

Friedemann Schlender22. Mai 2002

In Indien und Pakistan wird der Ausbruch eines neuen Krieges für nicht unwahrscheinlich gehalten. Der Streitpunkt zwischen beiden Ländern ist Kaschmir.

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Indien und Pakistan streiten sich um KaschmirBild: AP

Im Juni 1947 verkündete der britische Vizekönig in Indien, Lord Mountbatten, die Modalitäten für die Unabhängigkeit Indiens: Am 14. und 15. August desselben Jahres sollte die frühere Kolonie in die Unabhängigkeit entlassen werden - in Form der selbständigen Gebiete Indien und Pakistan. Die einzelnen Fürstentümer, darunter auch Kaschmir, sollten sich entscheiden, welchem der beiden Gebiete sie beitreten wollen.

Versteckspiel des Maharadschas

Während in der von Lord Mountbatton gesetzten Frist von zwei Monaten 564 Fürstentümer ihre Entscheidung trafen, ließ lediglich Maharadscha Hari Singh, der Herrscher von Kaschmir, die Frist verstreichen. Hari Singh hatte gehofft, quasi unbemerkt von der Öffentlichkeit seine Selbständigkeit bewahren zu können.

Nur zwei Monate nach der Unabhängigkeitserklärung von Indien und Pakistan fand das Versteckspiel von Hari Singh ein jähes Ende. Hunderte von Paschtunen drangen aus dem Gebiet Peschawar in Kaschmir ein und brachten Hari Singh in Bedrängnis.

Beistand von Indien

Indien nutzte die Chance und setzte ihn unter Druck: Als Gegenleistung für den aus Indien angeforderten militärischen Beistand trat der Maharadscha ab und unterschrieb die Beitrittserklärung. Lord Mountbatten machte aber die Anerkennung des Anschlusses Kaschmirs an Indien von einer Bedingung abhängig: "In Anbetracht der mehrheitlich muslimischem Bevölkerung von Kaschmir ist der Wille des Volkes durch einen Volksentscheid zu ermitteln, der durchzuführen ist, nachdem die Invasoren aus dem Land vertrieben sind."

Unmittelbar nach dem Beitritt Kaschmirs begann Indien die Angliederung mit massiver militärischer Präsenz im Kaschmirtal abzusichern. Es setzte ein erbitterter Kampf um Gebietsanteile zwischen Pakistan und Indien ein. Im ersten Kaschmirkrieg 1948 gelang es Pakistan, rund ein Drittel des kaschmirischen Territoriums zu erobern. Seither wird dieses wirtschaftlich weniger bedeutende Gebiet von den Pakistanern unter den Namen Azad Kaschmir (freies Kaschmir) und Northern Area (Nordgebiet) mit einem Sonderstatus in der föderalen Struktur des Landes verwaltet.

Mehrheitlich Muslime in Kaschmir

Das zentrale Kaschmirtal, das Gebiet um die Hauptstadt Srinagar mit weitaus größerer wirtschaftlicher Bedeutung, blieb unter indischer Kontrolle. Etwa 80 Prozent der Bevölkerung des Kaschmirtals sind Muslime. Von Indien verwaltet wird auch das Gebiet von Jammu mit etwa 60 Prozent Bevölkerungsanteil von Hindus sowie das mehrheitlich von Buddhisten besiedelte Ladakh.

China hält einen etwa 38.000 Quadratkilometer großen, weitgehend unbewohnten Teil des Gletschergebiets Siachen besetzt. Auf dem Gebiet Kaschmir, das eine Fläche von etwa 220.000 Quadratkilometer umfasst, leben etwa 13 Millionen Menschen. Etwa 77 Prozent der Bevölkerung aller Teilgebiete Kaschmirs sind Muslime.

Der Konflikt und die internationale Gemeinschaft

Indien selbst rief während des ersten Kaschmir-Kriegs die Vereinten Nationen an. An die Regierung erging die Forderung, einen freien Volksentscheid über die Zukunft Kaschmirs abzuhalten. Teile der indischen Armee verblieben aber in Kaschmir. Später, im Jahr 1957, wurde das Kaschmirtal als integraler Bestandteil in die Indischen Union eingegliedert.

Pakistan, das wirtschaftlich schwächere Land, konnte seine völkerrechtlich anfänglich günstigen Verhandlungspositionen nicht behaupten. Vor allem die beiden Kriege von 1965 und 1971, aus denen das Land als Verlierer hervorging, schwächten seine Lage. Schließlich wurde Pakistan im indisch-pakistanischen Abkommen von Simla 1972 gezwungen, die indische Lesart der Kaschmirpolitik zu akzeptieren: friedliche Mittel, keine Internationalisierung - der Konflikt ist nur Angelegenheit der beiden Länder.

Neue Dimension durch Atomwaffen

Nach dem 11. September und dem von Washington angemahnten Eintritt Pakistans in die weltweite Anti-Terrorismus-Front erwartete Indien Signale aus Islamabad zur Eindämmung der grenzüberschreitenden Aktionen terroristischer Gruppen im Kaschmirtal. Das Selbstmordattentat auf des Herz der indischen Demokratie, auf das Parlament in Neu Delhi, am 13. Dezember, machte aber alle Hoffnungen zunichte.

Seit Ausbruch der neuen Welle der Gewalt seit 1989 sind in Kaschmir mehr 30.000 Menschen getötet worden. Wenngleich beide Seiten wiederholt erklärten, ein jeweiliger Ersteinsatz von Nuklearwaffen käme nicht in Betracht, stehen sich doch gewaltige konventionell hochgerüstete Armeen gegenüber. Beide Länder verfügen über Mittel- und Kurzstreckenraketen, die mit nuklearen Sprengköpfen ausgerüstet werden können. Das Wort ‚Krieg' ist weder für Pakistan noch für Indien ein Abstraktum.