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Eine Woche Trauer

Tanja Selmer6. Juli 2004

Schaltet man hierzulande den Fernseher ein, gibt es diese Woche fast nur ein Thema: Der Tod des 40. Präsidenten der Vereinigten Staaten, Ronald Reagan.

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Schenkt man den pompösen Inszenierungen Glauben, scheint es, als habe Reagan die Beliebtheit einer Lady Di gehabt oder die Bedeutung eines Papstes. Zehn Jahre nachdem Ronald Reagan sich aus der Öffentlichkeit verabschiedet hat, scheint er kurz nach seinem Tod nur noch eins zu sein: ein Heiliger.

Vergessen scheint die Iran-Contra-Affäre, vergessen die Invasion in Grenada, vergessen, dass die "Reagonomics", die liberale Wirtschaftspolitik à la Reagan, die Schere zwischen Arm und Reich in den USA vergrößerte. Tausende US-Bürger stehen willig mitten in der Nacht für acht bis zehn Stunden Schlange, um ihrem Ex-Präsidenten die letzte Ehre zu erweisen. Ronald Reagan war ein Held, ganz klar. Warum? Ja, er hat in großem Maße dazu beigetragen, dass der Kalte Krieg ein Ende nahm. Doch das steht für die meisten Amerikaner gar nicht mal an erster Stelle. Die Amerikaner liebten Reagan für seinen Optimismus, seine Führungsstärke und seinen Humor. Nach Vietnam und Watergate hat er den Amerikanern damit wieder geschenkt, was sie so dringend brauchten: Sie konnten wieder stolz sein, stolz auf sich und ihre Nation.

Sehnsucht nach den guten, alten Zeiten

Ein Gefühl, dessen die Amerikaner auch jetzt wieder stark bedürfen und das sie sich sehnsüchtig herbei wünschen. Das Gefühl der Normalität und der Zuversicht, das Gefühl, im richtigen Land zu leben und stolz auf Amerika zu sein. Doch wochenlang dominierte zuletzt das Thema Irak die Nachrichten. Bilder von Anschlägen, Kämpfen und Toten waren allgegenwärtig. Der Gefängnisskandal von Abu Ghraib beschämte die Nation, und die brutale Enthauptung von Nicholas Berg erschütterte die Menschen. Nach alldem haben die Bilder von den Trauerfeierlichkeiten um Ronald Reagan beinahe etwas Beruhigendes, etwas Friedliches. Ein gutes Gefühl, all das Chaos im Irak jetzt zu vergessen und sich an den Ex-Präsidenten sowie die guten, alten Zeiten zu erinnern. Zeiten vor Irak, vor El Kaida, vor dem 11. September.

Bush als Erbe Reagans

Kein Wunder, dass der jetzige Präsident, George W. Bush, hofft, ein wenig von Reagans Glanz möge auch auf sein Haupt abstrahlen. Immerhin hat er mit der neuen UN-Resolution eine gute Gelegenheit, auch wieder das Gefühl des Optimismus zu verbreiten. Eifrig bemühen sich Bushs politische Spin Doctors, seine Imageberater, ihn nun als Erben Reagans zu präsentieren. Parallelen gibt es in der Tat. So wie Bush teilte auch Reagan die Welt in Gut und Böse ein. Bevor er sich zu Verhandlungen mit Michail Gorbatschow entschloss, prägte Reagan den Begriff von Russland als "evil empire", als "Reich des Bösen". So wie Bush war Reagan ein "big spender", die Militärausgaben schossen in seiner Amtszeit in die Höhe, und das Haushaltsdefizit explodierte. Mehr als komplexe Details liebte auch Ronald Reagan große Worte, geeignet für Schlagzeilen und Pointen.

Pragmatiker versus Fanatiker

Trotz allem aber liebten die Amerikaner ihren Präsidenten, und das wünscht sich George Bush jetzt eben auch von seinem Volk. Derzeit scheint das aber immer weniger der Fall zu sein. Laut Umfragen ist Bushs Beliebtheitsstern seit Wochen am sinken. Ob die fünftägige Trauerfeier und das Staatsbegräbnis für Ronald Reagan diesen Trend umkehren können? Eher nicht. Denn zwischen Reagan und Bush gibt es auch deutliche Unterschiede, ausschlaggebend für die unterschiedliche Beliebtheit der beiden Präsidenten. Reagan war ein fröhlicher Zeitgenosse, immer einen Witz auf den Lippen, und er hatte ein unschlagbares Charisma. Politisch war er ein konservativer Pragmatiker, der seinen Kurs auch mal umkehrte. Bush hingegen ist ein konservativer Fanatiker, und ihm fehlt die Ausstrahlung des großen Kommunikators, wie es Ronald Reagan einer war, und zu dem die Amerikaner immer noch aufschauen.

Wahl der Konsequenzen

Langfristig, das heißt bis zur Wahl im November 2004, wird Bush daher wohl nicht von Reagans derzeitiger Glorifizierung profitieren können. Eher schon von den positiven Signalen der neuen UN-Resolution sowie dem Verlauf des G8-Gipfels. Politische Beobachter glauben, dass die Wahl weniger eine Wahl nach dem Rezept politischer Schönrednerei sein wird, sondern eine Wahl der Konsequenzen. Bis zum November werden die Themen Irak und Wirtschaftslage wieder ins Bewusstsein der Amerikaner zurückkehren. Die Wähler in den USA werden mit ihrer Stimme nicht sagen, was sie von Reagan, sondern, was sie von der Politik George Bushs halten.