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Politik

Einmal Türke, immer Türke?

Janine Albrecht
17. Juli 2017

Bremst Ankara die deutsche Einbürgerung türkischer Staatsbürger aus? Es mehren sich die Fälle, in denen türkische Konsulate die Entlassung aus der Staatsbürgerschaft blockieren. Die DW sprach mit Betroffenen.

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Türkische Parlamentswahlen in Berlin
Bild: picture-alliance/dpa/L. Schulze

Serhat Mustafoglo lebt seit 37 Jahren in Deutschland. Seine beiden mittlerweile erwachsenen Kinder wurden in Hamburg geboren. Eine Einbürgerung ist für ihn daher ein logischer Schritt. Auch Baris Reyas und Deniz Demir wollen Deutsche werden. Reyas ist seit 24 Jahren in Deutschland. Demir kam 2002 nach Hamburg. Die drei Männer wollen weder ihre Namen noch ihre Gesichter veröffentlicht sehen, denn sie fürchten Probleme mit den türkischen Behörden. Ihre Namen wurden deshalb geändert. 

Dabei steht ihren Anträgen von Seiten der deutschen Behörden nichts mehr im Wege. Ihr Einbürgerungsantrag wurde bewilligt. Es fehlt nur noch die Entlassung aus der türkischen Staatsbürgerschaft. 

Diese wurde ihnen bis jetzt unter bürokratischen Vorwänden verweigert. So wurde Deniz Demir auf dem türkischen Generalkonsulat in Hamburg von einer Sachbearbeiterin darüber informiert, dass sein Pass im Konsulat bleiben müsse.

Bundesweit sind den deutschen Behörden bislang sieben solcher Fälle bekannt. In einer Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage von Linken-Bundestagsabgeordneten heißt es, dass es bisher in drei Bundesländern - in Berlin, Bayern und Hamburg – vorgekommen sei, dass bei türkischen Einbürgerungswilligen der Pass einbehalten worden sei.

Tipp von der Ausländerbehörde

In Berlin wurde das Problem im Juni auf einer Dienstbesprechung der Einbürgerungsbehörden thematisiert. Dort sei festgestellt worden, dass "einige wenige türkische Einbürgerungsbewerber" von Schwierigkeiten bei der Ausbürgerung berichtet hätten, sagte ein Sprecher der Innenverwaltung gegenüber der DW.

Offiziell ist der Berliner Behörde nur ein Fall bekannt. In Hamburg geht die Innenbehörde von vier entzogenen Pässen aus. Baris Reyas schätzt allerdings, dass es deutlich mehr sind. "Ich kenne einige Türken, die das erlebt haben. Wenn man die dazu zählt, sind das schon fast doppelt so viele", sagt er.

Deutschland Türkei Ruf nach doppelter Staatsbürgerschaft wird lauter
Die Entlassung aus der türkischen Staatsbürgerschaft scheint für Kritiker Erdogans schwierig geworden zu sein Bild: picture-alliance/dpa

Außerdem gebe es auch viele, die sich aus Angst, ihren Pass zu verlieren, gar nicht erst ins Konsulat trauten, so wie Reyas selbst. Sogar seine Sachbearbeiterin bei der Hamburger Ausländerbehörde habe ihm geraten zu warten. Das war im März, wenige Wochen vor dem Verfassungsreferendum in der Türkei.

"Die Frau sagte, jetzt sei alles so hoch politisch, danach sei es vielleicht ruhiger", erzählt Reyas. Mehr habe man bei den deutschen Behörden nicht für ihn tun können. Auch Deniz Demir wurde nicht weitergeholfen, als er ohne Pass da stand. "Sie sagten, ich sollte mich an die türkische Gemeinde wenden, vielleicht könne die ja vermitteln", erzählt Demir.

Einmal Gülen, immer Gülen

Demir war noch zwei Mal beim türkischen Generalkonsulat - ohne Erfolg, der Pass ist nach wie vor eingezogen. Ein Grund wurde ihm nicht genannt. Sowohl Deniz Demir als auch Baris Reyas sind sich sicher, dass ihre Kontakte zur Gülen-Bewegung ein Grund für die Verweigerung einer Entlassung aus der türkischen Staatsbürgerschaft sein könnte.

Aus Sicht der türkischen Regierung hat ihr Gründer Fehtullah Gülen den Putschversuch vor einem Jahr veranlasst. Seit dem gescheiterten Aufstand wurden in der Türkei tausende mutmaßliche Gülen-Anhänger verhaftet. Mittlerweile sitzen mehr als 50.000 von ihnen in türkischen Gefängnissen.

"Aus der Perspektive Ankaras hat der türkische Staat ein Problem mit einer Gruppe von Menschen, die zwar nicht aktiv am Putschversuch beteiligt waren, aber Teil des Gülen-Netzwerkes sind", sagt Yunus Ulusoy von der Stiftung Zentrum für Türkeistudien und Integrationsforschung. Dass der Einzug von Pässen mit einer Nähe zur Gülen-Bewegung zusammenhängen könnte, hält der Türkeiexperte für sehr wahrscheinlich.

Auf Deniz Demir und Baris Reyas trifft dies zu. Der 36-Jährige Demir unterrichtete in einem der Nachhilfevereine der Gülen-Bewegung. Baris Reyas schrieb als freier Journalist für die mittlerweile eingestellte deutsche Ausgabe der Gülen-nahen Zeitung Zaman. "Ich war Sportjournalist, ich habe mit Politik überhaupt nichts zu tun, aber als Mitarbeiter von Zaman bist du gleich eingestuft", sagt Reyas der DW.

Die Türkei ein Jahr nach dem Putschversuch

Als "Verräter" beschimpft

Auch Einbürgerungsbewerber Serhat Mustafoglo hat für die Zeitung Zaman gearbeitet. Als er seinen Antrag auf Entlassung aus der türkischen Staatsbürgerschaft im Hamburger Generalkonsulat der Türkei stellen wollte, versuchte man, ihm den Pass abzunehmen. "Es hieß, entweder den Pass oder keine Entlassung", so Mustafoglo. Der 54-Jährige nahm daraufhin seinen Pass und und ging.

Nicht nur die Vorgänge auf dem Konsulat belasten ihn, sondern auch die Reaktionen in seinem privaten Umfeld. "Es gibt Menschen, die ich seit Jahren kenne, aber die mich jetzt als Verräter beschimpfen", sagt er. Innerhalb von einer Nacht, die Nacht des gescheiterten Putsches, hätten alte Bekannte ihre Meinung über ihn geändert.

Ein Verhalten, das auch Reyas kennt. Mittlerweile hat sich der 40-Jährige aufs Konsulat getraut, in der Nacht davor habe er schlimme Albträume gehabt. Umso erleichterter war er, als er seinen Antrag unbehelligt stellen konnte und seinen Pass zurückbekam. Jetzt wartet er auf die Ausbürgerungsbestätigung.

Deniz Demir hingegen hat seit einem halben Jahr keinen Pass mehr. Er glaubt auch nicht, dass er ihn noch zurückbekommt. Auf eine Einbürgerung in Deutschland kann er dennoch hoffen. Denn laut einer Verfügung des Bundesinnenministeriums ist es möglich, auch ohne Entlassung aus der Staatsbürgerschaft einen deutschen Pass zu bekommen.

Allerdings erst nach Ablauf einer Frist von zwei Jahren. Diese beginnt mit dem Tag, an dem die Entlassung beantragt wurde. Für Deniz Demir bedeutet dies eine echte Hoffnung. Aber auch eine schwere Zeit: In den kommenden 18 Monaten muss er ohne Pass auskommen.