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Einmauern oder reden

27. Januar 2006

Am Tag eins nach dem politischen Erdbeben in den Palästinensergebieten scheint Israel gespalten, wie man mit der Hamas umgehen soll. Experten befürchten eine Politik der einseitigen Schritte.

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Mauer zwischen Israel und den palästinensischen GebietenBild: AP

Israels Regierung hatte es vor der Wahl ausgeschlossen und sagte es auch, als sich der Sieg der radikalen israelfeindlichen Organisation abzeichnete: Keine Gespräche und schon gar keine Zusammenarbeit mit der Hamas. Fast die Hälfte aller Israelis scheint dies aber anders zu sehen: In einer am Freitag (27.1.) veröffentlichten Umfrage der israelischen Tageszeitung "Jediot Ahronot" sprachen sich 48 Prozent der Befragten für die Aufnahme von Gesprächen mit der radikal-islamischen Hamas aus, 43 Prozent dagegen.

"Israel Erfinder der Hamas"

Es ist keine repräsentative Umfrage, aber schon ein weiteres Indiz für die tiefe Spaltung Israels. Der Historiker Moshe Zimmermann gibt Israel eine Mitschuld am Erfolg der radikalen palästinensischen Hamas-Partei. "Diese Suppe haben wir uns selbst eingebrockt", sagte der Leiter des Zentrums für Deutsche Geschichte an der Universität Jerusalem in einem Interview der Stuttgarter Zeitung (Samstagsausgabe). "Wir Israelis waren die Erfinder der Hamas, denn diese Bewegung ist eine Reaktion - erstens - auf die israelische Besatzungspolitik und zweitens auf die Misserfolge der PLO. Wäre Israel den palästinensischen Führern kompromissbereiter entgegen getreten, dann hätte die Hamas längst nicht so viele Sympathien gefunden", sagte Zimmermann.

Moshe Zimmermann
Moshe ZimmermannBild: AP

Genau umgedreht sieht dies die nationale Rechte: Sie hat Ministerpräsident Ariel Scharon bereits beim Abzug aus dem Gaza-Streifen vorgeworfen, damit die Gewalt der Hamas zu belohnen. Nach Auffassung des Historikers Zimmermann, der sich schon häufiger sehr kritisch über seine Heimat Israel geäußert hat, kommt der Erfolg der Hamas daher nicht allen israelischen Politikern ungelegen: "Ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass sich die extreme Rechte in Israel genau dieses Ergebnis gewünscht hat: Wenn sich die andere Seite radikalisiert, gibt es für uns keinen Gesprächspartner, dann können wir mit unserer harten Politik weitermachen."

Experten gehen davon aus, dass die Stärkung der Hamas eine Politik der einseitigen Schritte Israels zur Folge haben wird. Israel werde es nicht schwer haben, internationale Unterstützung dafür zu finden, besonders auf Seiten der USA. Der amtierende Regierungschef Ehud Olmert, der selbst vor einer Parlamentswahl steht, hat vor wenigen Tagen bereits angeordnet, den Bau der Trennungsmauer im Westjordanland zu beschleunigen.

Kontakt unausweichlich?

"Die extremste Reaktion auf unserer Seite wäre, dass man die Grenzen schließt und sie aushungert", meint der israelische Politikwissenschaftler Jossi Alpher. "Aber das ist natürlich nicht möglich." In praktischer Hinsicht werde Israel nicht um Kontakte mit einer Hamas-Regierung herumkommen - und sei es durch Vermittler von dritter Seite. Es sei jedoch zu erwarten, dass Israel die Palästinenser ihrem Tagesgeschäft nachgehen lasse - "und wir ziehen Siedlungen ab und bauen Zäune", so Alpher.

Das finanzielle Aushungern der Palästinenser wurde jedoch schon halbwegs ernsthaft diskutiert: Nach dem Wahlsieg der Hamas hat Israel am Freitag die Überweisung von Steuergeldern an die Palästinenser-Regierung in Frage gestellt. Damit droht den Palästinensern innerhalb kurzer Zeit ein dramatischer finanzieller Engpass. Israel zieht für die Regierung in Ramallah Zölle und Mehrwertsteuer ein und überweist monatlich 40 bis 50 Millionen Dollar. "Wir stehen vor der praktischen Frage, wie wir mit Leuten umgehen wollen, die zu einer Zerstörung Israels aufrufen", sagte Joseph Bachar, Generaldirektor im israelischen Finanzministerium, beim Weltwirtschaftsforum in Davos.

"Botschaft der Gewalt"

Der palästinensische Wirtschaftsminister Masen Sinokrot wies darauf hin, dass es sich bei den Steuergeldern nicht um Finanzhilfen handele, die einfach gestoppt werden könnten. Das Geld stehe den Palästinensern zu. "Sie müssen es abliefern", fügte er hinzu. Seinen Angaben zufolge werden aus dem Steueraufkommen die Gehälter für 135.000 Beschäftigte bezahlt. Sollte es zurückgehalten werden, sei dies "eine Botschaft der Gewalt." (sams)