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Einsicht ins Unvermeidliche

Heinz Dylong1. Juni 2003

Bundeskanzler Schröder hat von seiner Partei Unterstützung für seine Reformpläne erhalten. Rund 90 Prozent der Deligierten stimmten beim Sonderparteitag für die "Agenda 2010". Heinz Dylong kommentiert.

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Der Berliner Sonderparteitag der SPD hat entschieden: Die "Agenda 2010" ist abgesegnet, sie hat deutlich die Mehrheit der Delegierten gefunden. Angesichts der leidenschaftlichen Debatte der vergangenen Wochen verlief der Kongress geradezu zahm. Man folgte Schröder - wahrlich nicht enthusiastisch, vielfach wohl auch nicht wirklich überzeugt. Eher aus Einsicht ins Unvermeidliche.

Die Argumentation des Kanzlers war wohlbekannt: Arbeit muss billiger werden, um neue Arbeitsplätze zu schaffen; man muss den Sozialstaat reformieren, um ihn erhalten zu können; wenn CDU/CSU oder FDP am Ruder wären, käme alles noch schlimmer. Und die Linken antworteten mit ebenfalls bekannten Mustern: Einschnitte ins soziale Netz schaffen noch keine Arbeitsplätze; es gibt Alternativen, etwa die Vermögenssteuer; das kleinere Übel zu sein, genügt nicht.

Pole, die beschreiben, worum es für die SPD an diesem Sonntag (1.6.2003) tatsächlich ging: Es war ein Kurswechsel. Nicht gerade eine echte Wende, aber doch eine programmatische Neujustierung, die die Partei noch vor wenigen Jahren weit von sich gewiesen hätte.

Das ändert freilich wenig daran, dass sich die SPD sehr pragmatisch auf eben diesen Weg gemacht hat. Eine Absage an die "Agenda 2010" hätte vermutlich zum Rücktritt Schröders geführt, das Ende der rot-grünen Koalition wäre wahrscheinlich geworden, der Weg der SPD in die Opposition vorhersehbar. Man kann den Delegierten des Parteitages keinen ernsthaften Vorwurf daraus machen wollen, dass sie angesichts dieser Perspektiven nicht mit dem Feuer spielen mochten.

Natürlich hat der Parteivorsitzende, Bundeskanzler Gerhard Schröder, um die Zustimmung der Delegierten geworben, und er fand freundliche Worte für die Gewerkschaften. Trotz alledem, man wurde das Gefühl nicht los, dass sich die SPD in Berlin auf einen Weg gemacht hat, der ihr selbst nicht ganz geheuer ist. Letztlich wird sie damit den Schwesterparteien in Schweden oder den Niederlanden folgen.

Schröder nannte die französischen Sozialisten als abschreckendes Beispiel. Sie hätten notwendige Reformen versäumt und seien von der Macht verdrängt worden. Dergleichen beeindruckt jeden gestandenen Parteipolitiker. Und richtig ist ja auch, dass der Reformwille in der Bevölkerung durchaus ausgeprägt ist - ausgeprägter jedenfalls als bei manchem Gewerkschafter.

Gleichwohl sollte sich die SPD-Spitze keinen Illusionen hingeben. Die Grundsatzbebatte über den weiteren Weg der SPD steht noch aus. Es mag ja sein, dass am Umbau des Sozialstaates kein Weg vorbeiführt. Doch bislang hat sich die Parteispitze die Debatte darüber erspart, welches denn der Weg der SPD in diesem Umbau sein könnte. Das riecht ein wenig nach "Salami-Taktik", danach also, dass in absehbarer Zeit weitere Einschnitte folgen werden.

Das entspräche jedenfalls der Logik Schröders: Die sicher nötige Senkung der Lohnnebenkosten wird sich durch die Realisierung der Agenda 2010 kaum in einem Maß erreichen lassen, das die Arbeitslosenzahl deutlich senken würde. Also: Es reicht noch nicht, die Agenda wird nach dieser Logik ergänzt werden müssen. Und das heißt, dass die Belastungsprobe für die SPD gerade erst begonnen hat.