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El Sadr unter Druck

Peter Philipp13. August 2004

Seit Monaten kämpfen in Nadschaf radikale Schiiten gegen Amerikaner und irakische Regierungstruppen. Die Lage spitzt sich zu. Jetzt soll Schiiten-Führer el Sadr verletzt sein.

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Zivilisten fliehen aus Nadschaf

Die Erinnerungen an die Tage nach dem Kuwait-Krieg sind in den Köpfen der schiitischen Bevölkerung in Nadschaf immer noch lebendig. Ungeachtet der heiligen Stätte – des Grabes von Ali – und ungeachtet des großen schiitischen Friedhofs direkt in der Nachbarschaft hatten sich Saddam Husseins Truppen hier schwere Kämpfe mit den Schiiten geliefert. Seit Monaten – und besonders seit Anfang August 2004 – werden die Erinnerungen aber überlagert durch die neuen Kämpfe in der Stadt, die sich Anhänger des radikalen Muktada el Sadr mit den US-Amerikanern und irakischen Regierungstruppen liefern. Jetzt behaupteten Gefolgsleute von el Sadr, ihr Anführer sei bei US-Bombenangriffen auf Nadschaf verwundet worden. Der Geistliche sei am Freitagmorgen (13.8.) in der Nähe der Imam-Ali-Moschee von Granatsplittern in Brust und Bein getroffen worden, sagte sein Berater Haider al Tusi.

Aufstand gegen die Amerikaner


Der Unterschied zu damals: Diesmal sind nicht die Schiiten insgesamt die Opfer, sondern die Amerikaner versuchen, eine radikale Gruppe von Schiiten zur Aufgabe zu zwingen. Die Mehdi-Armee el Sadrs entstand erst 2003 und umfasste lange nur einige 1000 junge Leute, die el Sadr zunächst als Ordnungskraft in dem schiitischen Millionen-Stadtteil "Sadr-City" in Bagdad einsetzte. Bald schon aber begann der Abkömmling prominenter – und fast sämtlich von Ex-Diktator Saddam ermordeter - Schiitenführer, den Aufstand gegen die Amerikaner zu proben. Diese wiederum machten ihn für die Ermordung eines schiitischen Geistlichen verantwortlich und wollten ihn verhaften.

Weiterhin Straßenkämpfe in Nadschaf
Mitglieder der Mehdi-Armee von Muktada el SadrBild: AP
Muktada el Sadr mit Gefolgsleuten
El Sadr mit GefolgsleutenBild: AP

El Sadr entkam aus Bagdad nach Nadschaf. Nicht zufällig, denn hier war er sicherer als überall sonst. Sollten die Amerikaner allzu massiv gegen ihn vorgehen, riskieren sie die Solidarisierung der anderen Schiiten mit el Sadr. Nicht aus Sympathie gegenüber dem ungestümen jungen Mann, sondern aus Angst um die heiligen Stätten des schiitischen Islam. Und weil viele von ihnen nicht zwischen den Kämpfen von damals und heute unterscheiden können und wollen.

Angst vor totalem Chaos

Saddam wollte die Schiiten insgesamt unterdrücken und für ihren Volksaufstand bestrafen, die Amerikaner und die Bagdader Übergangsregierung wollen Ruhe und sie wollen verhindern, dass sie nach der Konfrontation mit Sunniten in der Gegend von Falludscha auch noch an einer zweiten Front kämpfen müssen. Eine weitere Gefahr: die von el Sadr geschürte Unruhe könnte auf die bisher weitgehend friedliche Mehrheit der Schiiten übergreifen. Solch eine Entwicklung würde das Chaos auf die meisten und wichtigsten Teile des Landes ausweiten und den Versuch eines Übergangs zu Freiheit und Demokratie noch weiter behindern, wenn nicht völlig torpedieren.

Das Dilemma der Amerikaner und der Übergangsregierung ist aber, dass sie im Grunde nur Fehler machen können: Überlassen sie el Sadr das Feld, dann gestehen sie die eigene Machtlosigkeit ein und machen ihn zum Helden. Bekämpfen sie ihn aber, riskieren sie, die heiligen Stätten zu beschädigen, hinter denen sich el Sadr bewusst verschanzt. Und das hätte noch katastrophalere Folgen.