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Elend und Hoffnungslosigkeit

18. März 2003

- Polnische Arbeitslose in der Region Ermland-Masuren sind zum Dahinvegetieren verurteilt und hoffen auf Hilfe der Europäischen Union

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Warschau, 17.3.2003, TRYBUNA, poln.

Es gibt offiziell 3,2 Millionen Menschen ohne Arbeit in Polen. Diese Zahl bezieht sich aber nur auf diejenigen, die beim Arbeitsamt registriert sind. Wie viele Menschen haben sich aber überhaupt nicht registrieren lassen? Das weiß niemand.

Nur 17 Prozent der Arbeitslosen sind noch berechtigt, Unterstützung vom Arbeitsamt zu beziehen. Und der Rest? Diese Menschen leben von der Sozialhilfe und von Kindergeld sowie dank der Hilfe von Nachbarn und Familie.

Es ist zwar bekannt, dass ein Arbeitsloser Kosten verursacht, aber immer noch werden Menschen aus den Betrieben entlassen und dies wird mit der Wirtschaftlichkeit eines Unternehmens begründet. Wer denkt aber dabei über die Wirtschaftlichkeit des Staates nach?

Es stimmt zwar, dass viele Arbeitslose keine Arbeit mehr suchen. Ein Teil von ihnen suchte überhaupt noch nie Arbeit, der andere Teil resignierte bereits, weil nach einigen Jahren erfolgloser Arbeitssuche bei den Bertieben in der Umgebung jegliche Lust und Hoffnung vergehen kann. (...)

Die Arbeitslosen aus der Region Warmia-Mazury (Ermland-Masuren) schlafen ruhig. Sie haben keine Angst davor, dass der Arbeitsminister Jerzy Hausner ihnen die Unterstützung wegnimmt, weil sie seit langem keine mehr bekommen. Von den insgesamt 177 000 Menschen, die alle Werktage frei haben, bezieht lediglich jeder Fünfte eine Unterstützung vom Arbeitsamt. Über die Hälfte der Arbeitslosen sind mehr als ein Jahr ohne Job und viele von ihnen haben ihre Beschäftigung vor fünf oder sechs Jahren verloren. 35 Prozent der Arbeitslosen sind länger als 24 Monate ohne Arbeit. Diese Leute bemühen sich aber nicht mehr um Sozialhilfe, weil die Kassen leer sind.

In der Woiwodschaft Warminskie gibt es 300 000 Sozialhilfeempfänger, d. h. jeder fünfte Bewohner dieser Region bezieht Geld vom Sozialamt. Es wird geschätzt, dass es allein an Lebensmitteln in mindestens 20 000 Familien mangelt. Jedes vierte Kind geht zur Schule ohne Frühstück. (...)

Die minderjährigen Bürger der Dritten Republik Polen ernähren oft ganze Familien. In dem Kreis Elk, in dem 90 000 Menschen leben, ist das Kindergeld für 2 085 Familien die einzige Geldquelle, wobei die Beträge sehr niedrig sind: Für das erste und zweite Kind bekommt man 42,5 Zloty, für das dritte und jedes weitere Kind 66,7 Zloty. Die Familien, die zehn Kinder haben - was keine Seltenheit in dieser Region ist - bekommen ganze 600 Zloty (etwa 150 Euro) Kindergeld im Monat.

Diese Region lebt jedoch mit der Hoffnung - aufgrund der Nachrichten, die vom Arbeits- und Wirtschaftsministerium kommen. Es ist geplant, in diesem Jahr 46 Prozent mehr Geld in diese Region zu investieren als im vergangenen Jahr. Das Geld soll für die aktive Bekämpfung der Arbeitslosigkeit verwendet werden. Dabei handelt es sich um 57 Millionen Zloty (etwa 14,25 Millionen Euro) für die berufliche Aktivierung der Arbeitslosen und um zusätzliche 18 Millionen Zloty (etwa 4,5 Millionen Euro) für das praktische Erlernen eines Berufes von Jugendlichen. Im Jahre 2001 wurden dieser Region lediglich 38 Millionen Zloty (etwa 9,5 Millionen) zur Verfügung gestellt. (...)

Alle Selbstverwaltungen setzen ihre Hoffnung auf eine weitere Geldquelle: auf die Europäische Union. Die Regionen Warmia, Mazury und Podlasie nutzen bereits diese Möglichkeit. Das Woiwodschaftsarbeitsamt in Olsztyn (Allenstein) unterzeichnete als erstes in Polen einen Vertrag mit dem Arbeitsministerium über die Umsetzung des Programms für berufliche Aktivierung, das von PHARE finanziert wird. Für 4,8 Millionen Euro werden Schulungen für 5 000 Personen durchgeführt, darunter auch für junge Leute aus den Gebieten der ehemaligen staateigenen landwirtschaftlichen Betriebe. Es geht darum, eine Perspektive für diese Leute, die ohne Arbeit und Geld dahinvegetieren, zu schaffen.

Am wichtigsten sind jedoch die Investitionen. In der Region Warmia-Mazury sollen bis Ende 2005 etwa 200 Millionen Euro und in der Region Podlasie etwa 111 Millionen Euro angelegt werden. Schon im März 2003 beginnt z. B. der Bau einer Straße in Olsztyn. Gleichzeitig wird der Umbau der Verkehrstraße Nr. 16 beginnen. Bis Ende 2005 werden dafür 77 Millionen Zloty ausgegeben, darunter 24 Millionen Zloty von der EU. In der nächsten Zeit wird auch der Bau der Kanalanschlüsse in der Region fortgesetzt, der acht Millionen Zloty kostet. (...) Bei diesen Arbeiten werden nicht nur Fachleute, sondern auch Arbeitslose gebraucht. (...)

Derjenige, dem es in der Region Masuren oder überhaupt in Polen nicht gefällt, kann z. B. nach Andalusien in Spanien fahren. Schon im März d. J. werden 4 000 junge Frauen in Spanien bei der Erdbeerernte aushelfen. Sie werden drei Monate 39 Stunden in der Woche dort arbeiten und etwa 28 Euro pro Tag verdienen.

In der schwierigsten Lage sind aber Menschen, die das 50. Lebensjahr vollendet haben. Sie werden leider von niemandem mehr gewollt, weder auf dem Bau noch in Andalusien. Wenn der Arbeitminister ihnen die Stütze wegnehmen sollte, werden sie nicht einmal ein Glas leeren können, um die Fehler der Regierung zu begießen.

"Minister Hausner ist das Gegenteil von Robin Hood. Das ist ein schlechter Staat, der sich damit hilft, denjenigen etwas wegzunehmen, die sowieso wenig haben", sagt ein arbeitloser Magister der Chemie, der verzweifelt nach einer Stelle in der Stadt Wloclawek sucht. (...)

Minister Hausner behauptet, dass die Arbeitslosenrate ab März d. J. sinken wird. Vielleicht wird es tatsächlich dazu kommen, weil, wenn das Wetter mitspielt, auch Bedarf an Arbeitskräften auf den Baustellen bestehen wird. Im Sommer finden Arbeitslose eine Zeitlang Beschäftigung bei der Ernte. Dann aber wird schon wieder der Herbst und später der Winter beginnen ... sowie weitere Reduktionen der Beschäftigung.

Aus den Angaben von Ende Dezember 2002 geht hervor, dass 1 900 Betriebe Massenentlassungen in der nächsten Zukunft planen. Davon werden etwa 65 500 Beschäftigte betroffen sein. Wie viele von ihnen werden danach eine Arbeit finden können? (Sta)