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Elisabeth Herrmann: Das Kindermädchen

Ulrich Noller9. März 2006

Anwalt Joachim Vernau scheint alles im Leben erreicht zu haben. Dann aber stellt die Leiche einer alten Ukrainerin im Landwehrkanal sein Leben mit einem Schlag auf den Kopf.

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In der NS-Zeit wurden sie geknechtet, heute fühlen sich viele ehemalige Zwangsarbeiter doppelt betrogen. Die - lächerlich kleine - Entschädigung bekommt nämlich nur der, der auch nachweisen kann, dass er Zwangsarbeit verrichten musste. Wie mörderisch schwierig das sein kann, daraus hat die Berliner Fernsehjournalistin Elisabeth Herrmann einen bemerkenswerten Kriminalroman konstruiert, der zudem Licht auf einen fast unbekannten Aspekt des Themas Zwangsarbeit wirft: Die Knechtschaft, die junge Mädchen aus Osteuropa unter katastrophalen Bedingungen in deutschen Familien ertragen mussten.

Buchcover: Elisabeth Herrmann - Das Kindermädchen

Dabei beginnt "Das Kindermädchen“ wie eine romantische Komödie. Joachim Vernau, ein gut aussehender Anwalt, bringt sein Leben im Berlin der Gegenwart in trockene Tücher: Er steht kurz vor der Heirat mit der Adelstochter und Politkarrieristin Sigrun Zernikow; der Vater der Geliebten möchte den Mittdreißiger zudem zum Teilhaber in seiner alteingesessenen Kanzlei machen. Alles gut, und die Verbindungen werden mit einem opulenten Fest besiegelt.

Vergangenheitsbewältigung einer Politikerin

Dann taucht plötzlich eine seltsame Frau auf Vernaus Verlobungsfest auf: Natalja Tscherednitschenkowa, eine Greisin aus der Ukraine, die radebrechend behauptet, die Freundin einer anderen älteren Ukrainerin zu sein, die bei den Zernikows Zwangsarbeit verrichten musste. Alles, was die Freundin, die selbst nicht anreisen kann, will, ist eine Unterschrift, die das bestätigt. Aber Papa Zernikow verweigert die Unterschrift, und einen Tag später wird die Bittstellerin tot im Landwehrkanal gefunden, was wiederum die schlagkräftige Tochter der Antragstellerin auf den Plan ruft, die ihrerseits in höchste Gefahr gerät.

Spätestens jetzt wird "Das Kindermädchen“ dann doch zum Kriminalroman. Der angehende Schwiegersohn und Kanzleipartner Joachim Vernau ermittelt, zunächst allein und in eigener Sache; dann gemeinsam mit einer linksradikalen Anwaltskollegin und zunehmend auch in öffentlichem Interesse. Denn es geht, so stellt sich bald heraus, bei diesem Fall nicht nur um Zwangsarbeit in nazideutschen Familien und um die schwierige Vergangenheitsbewältigung einer aufsteigenden Politikerin namens Zernikow, sondern auch um Beutekunst, die zur NS-Zeit beiseite geschafft wurde und deren Marktwert stieg und stieg und stieg ...

Engagierte Unerhaltungsliteratur

All das hat Elisabeth Herrmann sehr geschickt in eine so spannende wie vielfältige und im wahrsten Sinne des Wortes doppelbödige Story verpackt, die zeigt, wie schlimm das Schicksal der Privat-Zwangsarbeiterinnen war, wie aktuell das Thema noch heute sein kann - und wie wenige Schritte es vom geregelten, liberalen, weltoffenen Alltag der Gegenwart entfernt liegt. Und das ist besonders beeindruckend an diesem Roman: Wie geschickt die Autorin die Wage hält zwischen Unterhaltung und Information. Denn "Das Kindermädchen“ ist in erster Linie spannend und gut konstruiert; erlaubt sich aber keinen einzigen Moment pädagogischer Betroffenheit. So liest sich gelungene, engagierte Unterhaltungsliteratur.


Elisabeth Herrmann
Das Kindermädchen
Rotbuch, 2005
ISBN 3-434-53138-6
EUR 19,90