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Studie über Kindererziehung

12. März 2012

Kinder brauchen blaue Flecken, um sich gut entwickeln zu können. Nur sollten diese nicht von Bestrafungen kommen, sondern Folge eigener Abenteuer sein. Eltern sollten ihren Kindern mehr Freiräume lassen.

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Drei Schüler fahren am Montag (12.09.2011) auf ihren Rollern zur Clara-Grunwald-Schule in Freiburg. Für rund 1,5 Millionen Schüler beginnt in Baden-Württemberg wieder die Schule. Die Polizei hat verstärkte Kontrollen rund um Schulen angekündigt. Foto: Patrick Seeger dpa/lsw +++(c) dpa - Bildfunk+++
Kinder mit Schulranzen auf dem Weg zur SchuleBild: Picture-Alliance/dpa

Noch vor 50 Jahren war es üblich, dass Kinder in Deutschland mal ordentlich eins hinter die Löffel bekamen. Oder ihnen wurde tüchtig der Hintern versohlt - mit der strengen väterlichen Hand oder gar mit einem Lederriemen. Das waren akzeptierte Erziehungsmaßnahmen, um Gehorsam und Zucht durchzusetzen. Die Zeiten haben sich zum Glück geändert - allerdings noch nicht in allen Familien so ganz. Denn auch heute bestrafen vier von zehn Eltern ihr Kind mit einem Klaps auf den Po, zehn Prozent haben schon einmal eine Ohrfeige gegeben und vier Prozent versohlen den Hintern.

Diese Zahlen stammen aus einer am Montag (12.03.2012) in Berlin vorgestellten Umfrage des renommierten Meinungsforschungsinstituts Forsa. Nur hätten die Eltern heutzutage andere Gründe für ihre Gewaltausbrüche, sagt Oliver Steinbach von der an der Studie beteiligten Zeitschrift "Eltern" nach Auswertung von rund 1000 repräsentativ geführten Interviews. "Viele dieser Eltern sind überfordert und reagieren mit einer Kurzschlussreaktion, wenn die Kinder unverschämt oder aggressiv sind. Die Ohrfeige wird von den Eltern schnell wieder bereut". Dies würden auch viele Postings auf der Website "eltern.de" zeigen, fügt Chefredakteurin Marie-Luise Lewicki hinzu. Oft sei dort zu lesen, dass Eltern, die zugeschlagen haben, sich schämten und im Nachhinein externe Erklärungen - wie hohen Druck im Beruf - angeben.

Gesetze ändern Bewusstsein

Der pädagogische Nutzen von körperlicher Züchtigung werde von der Mehrheit der Eltern als niedrig eingestuft, besagt die Forsa-Studie. "Körperliche Strafen sind klar auf dem Rückzug", erklärt Marie-Luise Lewicki. Das würde auch der Vergleich mit den Zahlen aus einer Vorstudie des Jahres 2006 belegen.

Axel Dammler, Marie-Luise Lewicki, Manfred Güllner vom Forsa-Institut und Oliver Steinbach (Foto: dapd)
Axel Dammler, Marie-Luise Lewicki, Manfred Güllner vom Forsa-Institut und Oliver Steinbach (v.l.n.r.)Bild: dapd

"Deutschland liegt hierbei weltweit im Trend", sagt Oliver Steinbach. In allen westlichen Industrienationen und auch in Afrika oder China nehme familiäre Gewalt an Kindern ab. Das liege zum einen am gestiegenen Bildungsniveau, aber auch an staatlichen Gesetzen, die Gewalt an Kindern ächten.

In Deutschland wurde im Jahr 2000 ein entsprechendes Gesetz verabschiedet. "Im internationalen Vergleich liegt Deutschland heute im Mittelfeld", so Steinbach. An der Spitze stehe Schweden, dort gibt es bereits seit 1979 ein Anti-Gewalt-Gesetz und dort sei auch die Gewaltziffer am niedrigsten.

Kinder sind kritischer geworden

Zusammen mit der Forsa-Umfrage wurde in Berlin eine zweite interessante Studie vorgestellt. Die Zeitschrift "Eltern" wollte wissen, was Kinder heute denken, fühlen und sich wünschen. Das Marktforschungsinstitut "Iconkids & Youth" hat deshalb rund 700 Kinder zwischen 6 und 12 Jahren interviewt.

"Kinder sind geborene Optimisten, aber ihr Blick ist kritischer geworden", fasst Geschäftsführer Axel Dammler die Ergebnisse seines Instituts zusammen. 71 Prozent der Kinder finden, dass "es viele Erwachsene gibt, die keine Kinder mögen und sich von ihnen gestört fühlen". Und 68 Prozent bejahen, dass "Politiker immer sagen, dass sie den Menschen helfen wollen, aber es nicht tun. Kinder bekommen heute mehr mit, was in der Welt passiert", so Dammler, "und fühlen sich in vielen Dingen allein gelassen".

Blaue Flecken für das Selbstbewusstsein

Alarmierend sei auch eine andere Zahl: 60 Prozent der Kinder wünschen sich, erwachsen zu sein.

"Dafür ist auch der Trend zum Überbehütet-Sein schuld", meint Dammler. Was früher völlig normal gewesen sei, nämlich allein in die Schule zu fahren, vom Rad oder Baum zu fallen, sich blaue Flecken zu holen, mit anderen Kindern laut Fußball zu spielen oder rumzutoben, das würde heutzutage von überbesorgten Eltern nicht mehr erlaubt, so Dammler. Dadurch aber werde den Kindern Autonomie genommen - und deshalb wollten sie lieber gleich erwachsen sein.

Im Osten sind die Kinder gelassener

"Beide Studien haben keine wesentlichen Unterschiede zwischen Kindern aus Arbeiterfamilien und Akademikerkindern festgestellt", sagt Chefredakteurin Marie-Luise Lewicki. Signifikante Unterschiede aber gibt es - immerhin 22 Jahre nach der deutsch-deutschen Wiedervereinigung - zwischen den Kindern in West- und Ostdeutschland. Die Kinder von Eltern aus der DDR seien insgesamt optimistischer und würden ihre Situation als besser einschätzen. Sie gingen lieber in die Schule als die Kinder im Westen und hätten - obwohl die Arbeitslosigkeit im Osten viel höher ist - weniger Angst vor Arbeitslosigkeit.

"Das könnte an den Ganztagsschulen liegen, von denen es im Osten mehr gibt", sagt Lewicki. "Kinder können hier mehr Selbstorganisation lernen, ihr Sozialverhalten und ihre Selbstwahrnehmung trainieren." Eine größere Unabhängigkeit von den Eltern lasse ein größeres Selbstbewusstsein bei den Kindern entstehen, sagt auch Axel Dammler.

Insgesamt aber scheinen die Kinder in Deutschland mit ihren Eltern recht zufrieden zu sein. 91 Prozent der Kinder bejahten die Aussage, dass ihre Eltern die besten Eltern seien, die sie sich vorstellen können. Nur sei es vielleicht an der Zeit, findet Marie-Luise Lewicki, dass die Gesellschaft die Eltern nicht immer für alles verantwortlich mache und sich dadurch wieder mehr Gelassenheit in der Kindererziehung breit mache.

Autor: Kay-Alexander Scholz
Redaktion: Bernd Gräßler