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Anwalt der Bürgerrechte

Ralf Bosen3. Juli 2013

Wer Ärger mit der EU hat, kann sich beim Europäischen Bürgerbeauftragten beschweren. Jetzt ist die Irin Emily O'Reilly zur Verteidigerin der Bürgerrechte gewählt worden. Sie tritt ein Amt an, das Zähigkeit erfordert.

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ARCHIV - Die Flaggen der 25 Mitgliedsländer der Europäischen Union wehen am 10.06.2004 vor dem Europa-Parlament in Straßburg im Wind. Bei der Europawahl 2009 am 7. Juni sind rund 375 Millionen EU-Bürger in 27 europäischen Ländern zur Wahl aufgerufen. Foto: Rolf Haid dpa (zu dpa-Themenpaket "Europawahl" vom 02.06.2009) +++(c) dpa - Bildfunk+++
Flaggen vor dem Europäischen Parlament Handelsausschuss SymbolbildBild: Picture-alliance/dpa

Der frühere US-Außenminister Henry Kissinger sagte einmal, er wüsste nicht, welche Telefonnummer man anrufen müsste, um mit Europa zu sprechen. Wäre Kissinger ein Bürger der EU, dann gäbe es zumindest eine zentrale Stelle, wo er sich darüber beklagen könnte, nämlich beim Europäischen Bürgerbeauftragten. Dieser geht Beschwerden von EU-Bürgern, Unternehmen und Organisationen nach, soll für Transparenz sorgen und Missstände aufdecken. Dabei klopft er auch den EU-Mächtigen immer mal wieder auf die Finger.

Dass dieser so genannte Ombudsmann den Eurokraten nicht nur sprichwörtlich im Nacken sitzt, verdeutlicht der Sitz seines Brüsseler Büros. Das Gebäude liegt wohl kaum zufällig zwischen den Granitmauern des Europäischen Rates und der Spiegelfassade des Parlaments. Dort und im Hauptsitz des Ombudsmanns im Straßburger Europaparlament zieht bald Emily O'Reilly, die bisherige Nationale Bürgerbeauftragte von Irland, als neue Europäische Bürgerbeauftragte ein. Die frühere Journalistin und Autorin war eine von sechs Kandidaten und wurde vom EU-Parlament auf seiner Sitzung am Mittwoch (03.07.2013) in Straßburg gewählt. Sie setzte sich im dritten Wahlgang in einer Stichwahl gegen die niederländische christdemokratische EU-Abgeordnete Ria Oomen-Ruijten durch.

Zehn Jahre gegen Ungerechtigkeit

O'Reilly hatte nach Einschätzung von Beobachtern die Unterstützung einer Reihe von Abgeordneten gewonnen, die lieber einen unabhängigen Kandidaten unterstützen wollten, als ein Mitglied des Parlaments. Die Irin hatte in einer Anhörung vor der Abstimmung angekündigt, dass sie im Falle eines Wahlsiegs "das Amt des Bürgerbeauftragten sichtbarer machen" und die Kommunikation verbessern wolle. O'Reilly ist die erste Frau in dem Amt und folgt auf den Griechen Nikiforos Diamandouros. Der 71-Jährige fühlt sich nach zweimaliger Wiederwahl offenbar amtsmüde und geht bereits am 1. Oktober, also noch vor dem Ende seiner Amtsperiode, in den Ruhestand. Der Bürgerbeauftragte wird nach jeder Wahl des Europaparlaments für die Dauer der Wahlperiode, also für fünf Jahre, gewählt, die Wiederwahl ist zulässig. Die Amtszeit des neugewählten Ombudsmanns endet deshalb schon 2014 mit der aktuellen Legislaturperiode des Europäischen Parlaments. Nach der Europawahl muss der Bürgerbeauftragte vom Parlament neu gewählt werden. Das wird dann im Juli des kommenden Jahres sein.

Eine Porträtaufnahme der blondhaarigen Emily O'Reilly (Foto: http://www.europarl.europa.eu/news/en/headlines/content/20130527FCS10566/3/html/Who-will-be-the-new-European-Ombudsman)
Wahlsiegerin Emily O'ReillyBild: Europa Parlament

Mehr als zehn Jahre lang war Diamandouros Bürgerbeauftragter der EU; ein Amt, das 1992 mit dem Maastrichter Vertrag eingerichtet wurde. Der frühere Politikwissenschaftler folgte auf den Finnen Jacob Söderman, der die Behörde 1995 mit nur einer Sekretärin startete. Inzwischen hat der Ombudsmann knapp 90 Mitarbeiter, die meisten von ihnen sind Juristen. Sie alle kümmern sich um Bürger, die sich vergeblich um Informationen aus dem Brüsseler Apparat bemühen; Mitarbeiter in den EU-Institutionen, die sich ungerecht behandelt fühlen oder um Firmen und Organisationen, die noch eine Rechnung mit Brüssel offen haben.

Zum Beschweren ins Internet

Wer Probleme mit der EU hat, kann die Internetseite des europäischen Bürgerbeauftragten aufrufen, sich dort registrieren und ein Beschwerdeformular ausfüllen. Per Brief und Fax kann man sein Anliegen natürlich auch vorbringen. Die meisten Beschwerden werden nach Angaben von Diamandouros innerhalb eines Jahres geklärt; eine erste Antwort gibt es bereits innerhalb weniger Tage. Manchmal allerdings mit dem Verweis auf eine andere Behörde. Der Bürgerbeauftragte ist nämlich nur dann zuständig, wenn EU-Behörden direkt betroffen sind. Nicht aber bei Klagen, die sich gegen nationale oder regionale Behörden richten - auch wenn es dabei um EU-Recht geht.

Zudem sind die Kompetenzen des Europäischen Bürgerbeauftragten begrenzt. Zwar müssen ihm die EU-Behörden und Organisationen bis auf den Europäischen Gerichtshof, der nicht in seine Zuständigkeit fällt, alle angeforderten Informationen zur Verfügung stellen und Aktenzugang gewähren. Aber er kann keine Sanktionen verhängen, sondern nur öffentliche Rügen und Empfehlungen aussprechen sowie jährliche Berichte vorlegen. Deshalb ist er aber noch kein zahnloser Tiger. Der Bürgerbeauftragte kann dem Europäischen Parlament einen Sonderbericht vorlegen, damit das Parlament einen Fall vor den Europäischen Gerichtshof bringt. Außerdem haben seine Worte an Gewicht gewonnen, seitdem sich die EU-Bürokratie im Zusammenhang mit der Finanzkrise in die Defensive gedrängt sieht und sich weiteren öffentlichen Ansehensverlust kaum leisten kann.

Nicht jedermanns Liebling

Möglicherweise ist es auch so zu erklären, dass die EU-Institutionen nach Angaben des Ombudsmann-Büros in vier von fünf Fällen seinen Empfehlungen folgen. Für Schlagzeilen sorgte beispielsweise die Affäre um zwei hochrangige EU-Beamte, die von einem Sportartikelhersteller VIP-Tickets für die Rugby-Weltmeisterschaft in Paris angenommen hatten. Nachdem Diamandourus einen möglichen Interessenkonflikt beklagte, gestand die EU-Kommission ihr Fehlverhalten ein, den Paris-Trip genehmigt zu haben.

Als wesentliche Entscheidung bewertet es der Ombudsmann, dass die EU-Arzneimittelagentur EMA in London mittlerweile wesentlich mehr Daten über Nebenwirkungen von Medikamenten sowie klinische Studien offenlegt. "Damit werden Informationen offengelegt, die Millionen von Menschen betreffen", erklärte Diamandouros. Dies beträfe das alltägliche Leben der EU-Bürger ganz unmittelbar.

Als letzten größeren Fall konnte er einen Zahlungsstreit zwischen einer französischen Nichtregierungsorganisation und der Europäischen Kommission schlichten. Die NGO hatte drei EU-Projekte in Russland erfolgreich umgesetzt. Die Kommission war jedoch mit ihren Arbeitsmethoden nicht einverstanden und forderte 93.000 Euro zurück. Der Bürgerbeauftragte kritisierte die Zahlungsrückforderung als unverhältnismäßig und unfair, worauf die Kommission auf ihre Forderung verzichtete. Kaum überraschend, dass Diamandouros, dem eine gehörige Portion Zähigkeit zugesprochen wird, nicht in allen EU-Behörden ein gern gesehener Gast ist. In einer Konferenz darauf angesprochen, entgegnete er lapidar, "der Ombudsmann übt sein Amt nicht aus, um jedermanns Liebling zu sein."

Nikiforos Diamandouros während einer Rede (Foto: dpa)
Nikiforos Diamandouros ist noch bis Oktober im AmtBild: picture alliance / dpa

Europäer nehmen mehr Rechte wahr

Während der Vorstellung des Jahresberichts 2012 in diesem Mai gab sich Diamandouros dennoch versöhnlich. Sein Büro erhielt zwar 2442 Beschwerden und eröffnete die Rekordanzahl von 465 Untersuchungen. Den Anstieg aber bewertete Diamandouros durchaus positiv. "Die Statistiken sind für mich Anlass zur Zufriedenheit", erklärte er, denn für ihn seien sie der "Beweis dafür, dass immer mehr europäische Institutionen und immer mehr EU-Bürger sich ihrer Rechte bewusst sind." Bei den Beschwerden ging es meist um die Verweigerung von Informationen oder Dokumenten. Andere Fälle betrafen Probleme bei EU-Projekten oder Ausschreibungen sowie Interessenskonflikte und Diskriminierung. 2012 kam die größte Anzahl an Beschwerden aus Spanien (340), Deutschland (273), Polen (235) und Belgien (182).

Während der Präsentation des Jahresberichts zog Diamandouros auch eine erste Bilanz seiner Amtszeit. Er und seine Mitarbeiter hatten mehr als 30.000 Beschwerden und rund 3500 Untersuchungen zu mutmaßlich schlechten Verwaltungspraktiken in den EU-Behörden eingeleitet. In den vergangenen zehn Jahren sei "die EU-Verwaltung viel transparenter, bürgerfreundlicher und dienstleistungsorientierter geworden", sagte er in Brüssel, um dann wieder zu mahnen: "Wie ich jedoch immer wieder betone, gibt es Verbesserungsmöglichkeiten, vor allem, was die Fähigkeit der EU-Behörden betrifft, eine Dienstleistungskultur gegenüber Bürgern pro-aktiv zu fördern." Nach Meinung von Experten wird sich darauf auch seine Nachfolgerin Emily O'Reilly konzentrieren müssen. Denn in Zeiten der Finanzkrise ist bei vielen Europäern der Wunsch nach Durchblick im Dickicht der EU-Entscheidungsmaschinerie drastisch gestiegen.