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Bulgarien als Stehklo?

Christoph Hasselbach15. Januar 2009

Es sollte Tschechiens künstlerischer Beitrag zur EU-Ratspräsidentschaft werden, doch jetzt fühlt sich halb Europa verunglimpft durch die Darstellung von Pissoirs, Hakenkreuzen und Dracula-Schlössern.

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EDie Entropa-Installation, Foto: dpa
Deutschland als Teil des Kunstwerks. Cerny will kein Hakenkreuz darin erkennen.Bild: picture-alliance / dpa
Bulgarien dargestellt als Pissoir in Cernys 'Entropa', Foto: dpa
Stein des Anstoßes: Die bulgarische Toiletten-InstallationBild: picture-alliance / dpa

Darf man das? Schweden als riesiger IKEA-Karton, die Niederlande als einzige Wasserfläche, aus der nur Minarette herausragen, an der geographischen Stelle Großbritanniens ist gar nichts, auf der Deutschlandkarte sind Autobahnen, die an ein Hakenkreuz erinnern, und Bulgarien ist ein Stehklo. "Entropa" heißt das Kunstwerk und lässt kein nationales Klischee aus. Als irgendeine künstlerische Idee wäre die Installation wohl wenig beachtet worden. Doch Entropa ist der offizielle tschechische Beitrag für die Ratspräsidentschaft und hängt neuerdings an prominenter Stelle im Brüsseler EU-Ratsgebäude.

Wie weit geht die Freiheit der Kunst?

Seitdem fegt ein Sturm der Empörung durch halb Europa. Bulgarien, also das Stehklo im Kunstwerk, bestellte aus Protest sogar den tschechischen Botschafter ein. Der stellvertretende tschechische Ministerpräsident Alexandr Vondra sprach bei der Einweihung zwar von der Freiheit der Kunst und dass es 20 Jahre seit dem Fall des Eisernen Vorhangs keine Zensur mehr in Europa geben dürfe, doch er entschuldigte sich schließlich in aller Form bei denen, die sich beleidigt fühlen. Und er versprach, wenn die bulgarische Regierung darauf bestehe, das Stehklo entfernen zu lassen. "Natürlich bestehen wir darauf", sagte eine Sprecherin der bulgarischen EU-Botschaft; auch EU-Chefdiplomat Javier Solana wurde bereits angeschrieben.

Der Prager Künstler David Cerny, Foto: dpa
Entschuldigte sich - aber halbherzig?Bild: picture-alliance / dpa

Vondra selbst scheint sich jedoch vielmehr darüber aufzuregen, dass der beauftragte Prager Künstler David Cerny die tschechische Regierung offenbar bewusst getäuscht hat: Cerny hatte zunächst behauptet, Künstlerkollegen aus den allen EU-Mitgliedsländern hätten die einzelnen Teile zugeliefert. Erst als Entropa bereits hing, rückte er mit der Wahrheit heraus: nämlich dass diese Künstler erfunden waren.

Alles nur ein Witz?

Am Donnerstag (15.1.2009) gab Cerny vor laufenden Kameras zu, "meine Regierung, besonders Alexandr Vondra, Karel Schwarzenberg und Herrn Topolánek bewusst getäuscht" zu haben und entschuldigt sich ebenfalls bei denen, die sich verletzt fühlen. Er habe ernsthaft erwartet, sein Kunstwerk werde "als Witz" verstanden, und habe niemanden beleidigen wollen. Cerny spricht seine Worte mit hängendem Kopf, doch die öffentlich vorgetragene Zerknirschung scheint nicht so recht zu dem Mann mit den wilden Haaren und der schwarzen Kleidung zu passen. Offenbar hatte die tschechische Regierung großen Druck auf ihn und seine Mitarbeiter ausgeübt. Einige Journalisten forderten ihn regelrecht auf, doch zu seinem Kunstwerk zu stehen.

Tschechien dargestellt als Atommeiler in Cernys 'Entropa', Foto: dpa
Cerny nahm auch die eigene Regierung aufs Korn: Tschechien uns seine AtommeilerBild: picture-alliance / dpa

Dabei ist David Cerny in Tschechien kein unbeschriebenes Blatt. Er gilt als Provokateur. Viele sagen, die Regierung habe von ihm niemals ein gefälliges Allerweltskunstwerk erwarten können.

Das Kunstwerk hat durchaus Fans

Was nun aus Entropa wird, ist offen. Bulgarien besteht darauf, dass seine Darstellung als eine Ansammlung von Toiletten aus dem gigantischen Puzzle "Entropa" abgenommen wird. Sollte es verändert werden oder sogar gänzlich verschwinden, fänden das mindestens so viele schade, wie es andere begrüßen würden. Denn seit das Werk in Brüssel hängt, lacht halb Europa über die dargestellten Klischees. David Cerny würde wohl schmunzeln, aber nur ganz, ganz heimlich.