1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Ende der "Goldenen Beziehungen"?

Thomas Kohlmann12. Juli 2016

Seit einigen Jahren arbeitet die britische Regierung an einem engen Verhältnis zu Peking - vor allem um chinesische Investitionen ins Königreich zu locken. Doch durch den Brexit werden die Karten jetzt neu gemischt.

https://p.dw.com/p/1JNT5
Großbritannien Staatsbesuch von Xi Jinping bei David Cameron
Bild: Reuters/K. Wigglesworth

Es war vor allem Schatzkanzler George Osborne, der in den vergangenen Jahren die wirtschaftlichen Beziehungen zu China immer enger geknüpft hatte. Von "Goldenen Beziehungen" war die Rede, chinesische Milliarden-Investitionen flossen vor allem in den Energiesektor und die Immobilienbranche Großbritanniens. Auch wenn sich etliche Kritiker über den als "Osborne Doktrin" verspotteten Schmusekurs gegenüber China echauffierten: Chinas Unternehmenslenker und Politiker wurden auf der Insel hofiert. Bei seinem Staatsbesuch in Großbritannien Ende Oktober 2015 wurde Präsident Xi Jinping (siehe Artikelbild li.) sogar die Ehre zuteil, von damaligen Premier David Cameron zu Ale, Fish und Chips in einen Dorf-Pub in der Grafschaft Buckinghamshire eingeladen zu werden, eine gute Autostunde von London entfernt.

Damals hatte Chinas Staatschef unmissverständlich klar gemacht, dass sich seine Regierung den Verbleib des Vereinigten Königreiches in der EU wünscht. Kein Wunder, denn das Reich der Mitte hat auf der Insel milliardenschwere Interessen. In den vergangenen 15 Jahren ist Großbritannien zum wichtigsten Ziel für chinesische Investitionen in der EU geworden. Seit dem Jahr 2000 flossen 12,2 Milliarden Euro nach Großbritannien - fast doppelt so viel wie nach Deutschland, das mit 6,8 Milliarden Euro auf Platz Zwei liegt. Im Gegenzug machte sich das Vereinigte Königreich für die Interessen Pekings bei seinen europäischen Partnern stark. Doch wie geht es künftig mit dieser britisch-chinesischen Symbiose weiter, wenn Großbritannien nicht mehr Teil der EU ist?

Chinas bester Freund in der EU

Ein westlicher Diplomat in Peking bringt es im Gespräch mit der "Washington Post" auf den Punkt: "Die Führung im Vereinigten Königreich hat immer gesagt, dass sie die Jungs sind, die sich für Chinas Interessen im Westen und in der Europäischen Union ins Zeug legen." Da seien die Aussichten auf einen Brexit "ziemlich schlechte Nachrichten für China."

London: Chinas Präsident Xi Jinping auf Kutschfahrt mit Königin Elizabeth II.
Goldene Beziehungen: Xi Jinping auf Kutschfahrt mit der QueenBild: Reuters

Chinesische Investoren würden künftig eine negative Einstellung gegenüber dem britischen Markt einnehmen, meint Zheng Chaoyu. "Das wird ein Schlag für den britischen Investitionsmarkt", glaubt der Ökonom von der Volksuniversität Peking.

Es sei eine Situation entstanden, in der Großbritannien, China und die EU nur verlieren könnten, meint auch der Kommentator der staatlichen Global Times: "Es deutet sich eine Lose-Lose-Situation an." In Zukunft würde Großbritannien in eine Zeit der Bedeutungslosigkeit zurück katapultiert werden, prophezeit das chinesische Staatsmedium: "Das Vereinigte Königreich ist gerade einmal etwas über 300 Jahre alt. In seiner Blütezeit war es als Weltreich bekannt, in dem nie die Sonne unterging, mit Kolonien in der ganzen Welt. Jetzt kehrt es dahin zurück, wo es davor war."

Europa verliert an Gewicht

Für China sei der Brexit ein weiteres Indiz dafür, dass sich das Machtzentrum der Weltpolitik noch weiter nach Asien verschiebt, meint Jan Gaspers, Leiter der EU-China Policy Unit am Mercator Institut für China-Studien (MERICS) in Berlin: "Europa hat in der chinesischen Wahrnehmung bereits jetzt verloren." Chinas politische Eliten seien im Grunde besorgt darüber, dass das britische Votum einen Dominoeffekt auslösen könnte, in dessen Folge auch andere Mitgliedstaaten aus der EU ausscheiden, so Gaspers. Ein weiterer Verfall der EU werde in China in erster Linie mit einem schrumpfenden Binnenmarkt und der Einschränkung des Flusses chinesischer Waren innerhalb Europas gleichgesetzt, gibt Gaspers zu bedenken. "Auch fürchtet Peking einen Zerfall der Eurozone. Die dann zu erwartenden Wechselkursschwankungen würden sich ebenfalls negativ auf den Handel chinesischer Güter in Europa auswirken. Zudem hat die chinesische Diplomatie kein Interesse daran, in Zukunft mehr Ressourcen darauf zu verwenden, die Ansichten einzelner europäischer Länder zu verstehen."

Dass sich jetzt die Wirtschaftsbeziehungen zwischen China und der EU dramatisch verschlechtern, hält Michael Schaefer, der von 2007 bis 2013 deutscher Botschafter in Peking war, eher für unwahrscheinlich. "Natürlich wird sich der bilaterale Wirtschaftsaustausch mit dem Wegfall Großbritanniens, das zweitgrößter Handelspartner der Chinesen in der EU ist, verringern. Aber der britische Beitrag zum gesamten europäisch-chinesischen Wirtschaftsaustausch ist bei weitem nicht so substantiell wie der deutsche Anteil, der allein mehr als ein Drittel des gesamteuropäischen ausmacht", sagt Schaefer, der mittlerweile als Vorsitzender für die BMW Stiftung Herbert Quandt tätig ist.

George Osborne Exchequer Bisuness Wirtschaft Großbritannien China Peking
Visite beim Groß-Investor: Schatzkanzler George Osborne Ende September 2015 in PekingBild: picture-alliance/dpa/Stefan Rousseau

Wie sich die Brexit-Nachwehen auf den chinesisch-britischen Handel auswirken, ist noch nicht abzusehen. Alles hängt davon ab, ob Großbritannien Teil des Binnenmarktes bleiben wird. Britische Unternehmen müssen aber künftig auf die Vertretung durch die einflussreiche EU-Handelskammer in Peking verzichten. "Es ist schwer zu sehen, wie britische Unternehmen jetzt insgesamt besser dran sein werden, wenn ihnen diese Unterstützung fehlt", heißt es in einer Erklärung der Kammer, die den Brexit "tief bedauert".

Letzter Trumpf Finanzplatz London?

Kaum ein Beobachter erwartet jedenfalls, dass der Finanzplatz London durch den Brexit ungeschoren davon kommt, wenn es um die künftige Strategie Chinas geht. "Peking hat bisher ganz bewußt auf London als wichtigsten Finanzplatz in Europa gesetzt, allerdings bereits unübersehbare Weichen in Richtung Frankfurt gestellt. Es ist zu erwarten, dass London weiterhin den Spitzenplatz für China einnehmen wird, wenn es um den globalen Finanzmarkt geht", glaubt Michael Schaefer. "Frankfurt dürfte allerdings weiter an Bedeutung gewinnen, da China in den nächsten Jahren im europäischen Markt weiter signifikante Investitionen platzieren dürfte."

Großbritannien London Bankenviertel Hochhaus
Chinesische Wurzeln: Hochhaus der Hong Kong Shanghai Banking Corporation (HSBC) in LondonBild: picture-alliance/dpa

Philippe Le Corre vom Brookings Institute in der US-Hauptstadt Washington fasst seine Sicht der Dinge in einem Satz zusammen: "China wird dem Vereinten Königreich nicht völlig den Rücken kehren, aber es seiner künftigen Bedeutung gemäß behandeln: eine mittelgroße Volkswirtschaft mit einem starken Schwerpunkt auf Finanzdienstleistungen, deren Industrie kaum der Rede Wert ist."