1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Ende einer Ära

29. September 2010

Der russische Präsident Dmitrij Medwedew hat der 18-jährigen Ära des Moskauer Bürgermeisters Jurij Luschkow ein Ende gesetzt. Die Absetzung kam nicht überraschend, doch sind die Gründe vielschichtig.

https://p.dw.com/p/PP86
Moskaus Bürgermeister Jurij Luschkow, Sept. 27, 2010. Foto: AP Photo/Ivan Sekretarev
Jurij Luschkow entlassenBild: AP

Seit 1992 hat Jurij Luschkow als Oberbürgermeister die Millionen-Metropole Moskau geprägt. Er war damit nicht nur einer der dienstältesten Politiker Russlands, sondern auch einer der mächtigsten Männer. Schließlich ist Moskau das Finanz- und Wirtschaftzentrum Russlands. Der Jahresetat der Stadt ist mit mehr als 23 Milliarden Euro in etwa so hoch wie der Haushalt der gesamten Ukraine.

Portrait von Boris Reitschuter (Foto: DW)
Boris Reitschuster nennt GründeBild: DW

Um diesen großen Etat wird heftig gekämpft und hier sind auch die Gründe für Luschkows Absetzung zu suchen, meint Boris Reitschuster, Korrespondent des deutschen Wochenmagazins Focus in Moskau: "Ich denke, es gibt zwei Gründe. Zum einen stehen hinter Luschkow einflussreiche Klans, die sich diesen gigantischen wirtschaftlichen Kuchen Moskaus, diese Milliarden, Abermilliarden unter einander aufteilten."

Um die Verteilung dieser Finanzströme sei ein Machtkampf ausgebrochen. Die wirtschaftliche Situation in Russland sei schwierig, der Kuchen werde schmaler, der Appetit größer. Jetzt habe man Luschkow und seine Klans zerschlagen, so Reitschuster.

Wahlen werfen ihre Schatten voraus

Aber Moskau ist nicht nur wegen seiner Wirtschaft für die Mächtigen des Landes von Bedeutung, sondern auch für die nationale Politik spielt die Hauptstadt eine besondere Rolle. Hier liegt ein weiterer Grund für Luschkows Absetzung, meint Reitschuster: "Der zweite Grund ist, dass Moskau als Hauptstadt bei den Wahlen 2012 ganz wichtig sein wird und ich denke, Putin und Medwedew wollen da einen ganz sicheren Kantonisten haben in Moskau, der garantiert, dass sie das Wahlergebnis bekommen, das sie möchten, das sie bestellen."

Somit werfen die herannahenden Präsidentschaftswahlen im Jahr 2012 wohl ihre Schatten voraus. Offenbar wird in Moskau ein jüngerer, loyalerer Mann aus der Putin-Medwedwew-Riege gebraucht, um die Wahlen organisieren zu können – mit dem Ziel, die Macht der jetzigen Machthaber zu erhalten.

Medwedews letzte Chance?

Portrait von Alexander Rahr (Foto: DW)
Alexander Rahr: Medwedew zeigt seine MachtfülleBild: DGAP

Mit der Absetzung Luschkows habe Medwedew seine ganze Machtfülle gezeigt, betont der Russland-Experte Alexander Rahr vom Berthold-Beitz-Zentrum der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Zweieinhalb Jahre habe Medwedew als eine Marionette Putins gegolten, die nicht in der Lage gewesen sei, irgendwelche personelle Veränderungen im eigenen Land durchzuführen. Jetzt habe Luschkow den Präsidenten so weit gereizt und provoziert, dass er nicht anders konnte, als ihn abzusetzen.

"Ein Moskauer Oberbürgermeister, faktisch ein Gouverneur und Untergebener des Präsidenten, der nach außen hin überall verkündet, er würde sich dem Präsidenten nicht unterordnen, hätte, wenn er weiterhin Oberbürgermeister geblieben wäre, das Präsidialamt völlig ausgehebelt", so Rahr. Die Absetzung Luschkows sei für Medwedew die allerletzte Chance gewesen, seine wirkliche Autorität zu beweisen und die Institution des Präsidialamtes zu erhalten und zu stärken.

"Mutiger und selbstbewusster Schritt"

Portrait von Gernot Erler (Foto: DW)
Gernot Erler: Macht Medwedew mit Reformen ernst?

Dazu nutzte Medwedew einen günstigen Zeitpunkt. Luschkows Popularität unter den Moskauern ist längst gesunken. Ihm wurde in den vergangenen Wochen und Monaten vorgeworfen, bei der Bekämpfung der Waldbrände um Moskau versagt zu haben. Daraufhin wurden die vielfach in den letzten Jahren bereits geäußerten Korruptionsvorwürfe auch in den Staatsmedien wiederholt.

Am Ende steht nun die Absetzung Luschkows, ein mutiger und ein selbstbewusster Schritt Medwedews, so der deutsche Osteuropa-Experte Gernot Erler, ehemaliger Staatsminister im Auswärtigen Amt. "Für die Zukunft wird es jetzt sehr darauf ankommen, ob das ein einsamer Schritt bleibt, ein einsames Signal, was hier Luschkow betrifft, oder ob das als Auftakt gesehen werden kann, dass Medwedew ernst macht, auch mit seinen Ideen von Modernisierung, von Reformen in Russland." Nach der Entmachung Luschkows müssen man nun sehen, ob Medwedew auch seine Ideen stärker in die Tat umsetzen wolle.

Autor: Markian Ostaptschuk
Die Interviews führten: Viacheslav Yurin, Nikita Jolkver
Redaktion: Gero Rueter