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Endlich: Eine Reform in Deutschland!

Jens Thurau, Berlin22. August 2003

Überraschend schnell haben sich Regierung und Opposition auf eine Reform im deutschen Gesundheitssystem geeinigt. Es gilt als sicher, dass die vereinbarten Schritte alle parlamentarischen Hürden nehmen können.

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Also doch. Die deutsche Politik scheint doch noch zu Reformen fähig. Zwar muss man die Einigung auf ein Reformkonzept im Gesundheitswesen, auf dass sich Experten der Regierungsparteien SPD und Grüne sowie der oppositionellen Union jetzt verständigen konnten, noch mit Vorsicht bewerten. Schließlich muss das Werk noch von den Parlamentskammern Bundestag und Bundesrat abgesegnet werden. Aber schon bis hierhin ist die Einigung vom Donnerstagabend (21. August 2003) eine kleine Sensation, mit der noch vor Wochen so niemand rechnen konnte.

Gegen die Lobbyisten durchsetzen

Das Ergebnis mag man unterschiedlich bewerten, denn tatsächlich werden die ständig steigenden Kosten der Gesundheitsversorgung zum Großteil den Versicherten aufgebürdet. Ärzte, Apotheker, Krankenkassen oder Pharmaindustrie müssen dagegen kaum Opfer bringen. Aber festzuhalten bleibt: Es ist möglich, dass die Parteien ihren Streit beiseite legen, ein drängendes Problem als solches erkennen, und sich - vor allem das - gegen die widerstreitenden Interessen der Lobbyisten durchsetzen. Und eine Reform verabreden, die zwar kaum populär, aber nötig ist.

Das ist umso erstaunlicher, weil gerade das Feld der Gesundheitspolitik in Deutschland als komplett reformresistent gilt. Horst Seehofer, jetzt Verhandlungsführer der Union, weiß, was das bedeutet. Er hat als Gesundheitsminister unter Bundeskanzler Helmut Kohl lange vergeblich versucht, gegen das Kartell der Krankenkassen, der Pharmaindustrie und der Ärzteverbände eine Reform zustande zu bringen. Dass die heutige SPD-Gesundheitsministerin Ulla Schmidt sein Mitgefühl in ihrem schweren Amt besitzt, hat der Verständigung sicher weitergeholfen.

In kleiner Expertenrunde

Interessant ist eine Kritik an der Einigung, ausgesprochen nur wenige Stunden, nachdem Schmidt und Seehofer erschöpft, aber glücklich den Durchbruch verkündeten. Seehofers einflussreicher Parteifreund Michael Glos monierte, die Einigung sei an den parlamentarischen Gremien vorbei getroffen worden - in einer kleiner Expertenrunde der Fraktionen, ohne Beteiligung der Mehrheit der Volksvertreter.

Das ist ein berechtigter Einwand. Denn eigentlich verfügt das parlamentarische System in Deutschland über Institutionen, die politisches Handeln - von der gründlichen Diskussion bis hin zur Verabschiedung - ermöglichen sollten. Aber die Abläufe dort sind langwierig, die Debatten finden in aller Öffentlichkeit statt, das Bedürfnis der Parteien, sich zu profilieren, ist hoch. Und zwar umso höher, je weniger die Parteien tatsächlich verschiedene Konzepte vertreten. Oft besteht des Dissens nur noch in Detailfragen, die künstlich überhöht werden, um sich vom politischen Gegner zu unterscheiden. Deshalb sind kleine Expertenrunden wie jetzt die um Schmidt und Seehofer so erfolgreich. Es gelang ihnen, weitgehend hinter verschlossenen Türen an der Sache orientiert zu streiten. Wahr ist aber auch, dass die parlamentarische Demokratie eigentlich in Hinterzimmern nichts zu suchen hat. Am besten aber lässt sich dem begegnen, wenn der kleinliche Zank im Parlament einem sachlicheren Klima weicht.

Hauptsache, es bewegt sich etwas

Fazit: das Thema Gesundheit kann vorläufig von der Liste der notwendigen Reformen gestrichen werden. Vorläufig, denn die jetzt vereinbarte Reform wird das deutsche Gesundheitssystem nur über wenige Jahre stabilisieren können. Dann sind unausweichlich weitere Schritte notwendig. Aber auf die Bürger warten bis dahin noch Reformen bei der Rente, Einschnitte im Sozialsystem, dramatische Änderungen im Arbeitsrecht. Vieles davon ist noch unausgegoren. Längst haben die Bürger den Überblick verloren. Da ist es schon ein Trost, wenn eine Teilreform gelingt. Wie lautete doch jüngst das Ergebnis einer Umfrage? Eine Mehrheit der Deutschen wünscht sich Reformen, auch wenn sie zunächst nicht voll befriedigen. Hauptsache, es bewegt sich endlich etwas in diesem Land.