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Endlich Zeugnisse für die Präsidentschaftskandidaten

Bernd Piringer16. Juni 2005

In den USA sorgen die College-Beurteilungen von George und John für einigen Trubel. Dabei sollte man genau hinschauen, bevor man voreilige Schlüssen zieht.

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Jahrelang hatte John F. Kerrys Zeugnis aus seiner Zeit in Yale in seinen Navy-Akten geschlummert. Als es Anfang diesen Monats öffentlich wurde, war das für

viele Liberale ein Schock. Denn das Öffnen der Akten brachte ans Licht, dass Kerry, dessen Art zu sprechen den Durchschnitsamerikaner unangenehm an den Duktus eines Pariser Kaffeehausintellektuellen erinnert, in seinen College-Kursen keineswegs besser abschnitt als sein ehemaliger Gegner und Yale-Kommilitone Bush.

Mit 76 Prozentpunkten liegt Kerrys Durchschitt sogar knapp unter dem des Präsidenten. Vielen sozialliberalen Gemütern muss es als Ironie der Geschichte und letzte Demütigung erscheinen, dass die Überzeugung, ihr Kandidat sei zumindest der intellektuell überlegene, keine amtlich beglaubigte Grundlage hat.

Wäre Kerrys Yale-Zeugnis der Öffentlichkeit vor den Wahlen zugänglich gemacht worden, es hätte seine Chancen Präsident zu werden gewiss nicht erhöht. Ein "F" wie "failed" enthielt das Zeugnis zwar nicht. Das eine oder andere "D"– das Äquivalent zu einer Vier im deutschen Notensystem – war aber durchaus vertreten. Einmal häufte Kerry sogar innerhalb eines Jahres vier davon an. Seinem Vater soll er erzählt haben, "D" stehe fuer distinciton – was soviel heißt wie "Auszeichnung". Ob ihm das die Wähler wohl auch geglaubt hätten?

Kerrys eigenen Angaben zufolge trägt neben seinen außer-akademischen Aktivitäten wie Segeln, Schießen oder Debattieren vor allem sein Altruismus Schuld daran, dass er am College nie so recht aus den Startlöchern kam. Denn er sei viel zu sehr damit beschäftigt gewesen, hungernde Kommillitonen durchzufüttern, als dass er Zeit gefunden hätte, über seinen Büchern zu brüten.

Es ist schwer zu sagen, was der Durchschnittsamerikaner stärker verabscheut – die Herablassung des Geldadels oder die Arroganz des Bildungsadels. Aber dass man, wenn man sich für vorgetäuschten Intellektualismus mit dem Hinweis auf Wohltätigkeitspflichten entschuldigt, beim Mann auf der Straße nicht besonders gut ankommt, ist abzusehen. In den Augen vieler Amerikaner aus dem konservativen Landesinneren ist Aufgeblasenheit ja ohnenhin eine Charaktereigenschaft, die den Liberalen von der Ostküste von Haus aus zukommt.

Doch nicht in erster Linie die Durchschnittlichkeit seiner Leistungen oder die Ungewöhnlichkeit seiner Ausrede hätten Kerry geschadet, hätte er seine

Zeugnisse zu einem früheren Zeitpunkt der Öffentlichkeit zugänglich gemacht: Dann hätten sie erfahren, dass Französisch mit eines von Kerrys stärksten Fächern in seinem erstem College-Jahr war. Die erhöhte Aufmerksamkeit, die jetzt den Zeugnisnoten von Präsidenten und Kandidaten geschenkt wird, könnte sich aber auch für Bush als verhängnisvoll herausstellen. Denn sein Yale-Zeugnis verrät, dass er – man höre und staune - eine seiner besten Leistungen (88 Prozent) in Philosophie erzielte. Wer sendet hier nun wiedersprüchliche Botschaften? Die Farmer im Mittleren Westen werden nicht begeistert sein.