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Engagement gleich null?

4. Februar 2002

Jugendliche in Deutschland sind im internationalen Vergleich politisch nicht so engagiert wie junge Menschen in anderen Ländern. Zu diesem Ergebnis kommt eine repräsentative Studie.

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Studentinnen in MünsterBild: Stadt Münster

Ziel der Studie war es, das politische Wissen, politische Einstellungen und Handlungsbereitschaft von Schülern am Ende ihrer Schulzeit festzustellen. Die Studie umfasst 28 Länder. Über Ergebnisse dieser Untersuchung der International Association for the Evaluation of Educational Achievement (IEA) mit Beteiligung auch des Berliner Max-Planck- Instituts für Bildungsforschung berichtet ein Beitrag in der Wochenpublikation "Aus Politik und Zeitgeschichte".

Mitbestimmung ist nicht angesagt

Die deutschen Jugendlichen zeigen sich auch weniger als der Durchschnitt der Jugendlichen der anderen Länder an der Mitbestimmung in der Schule interessiert - in Gremien sowie im Unterricht, in Arbeitsgruppen und Projekten. Sie nehmen auch seltener an politisch und sozial orientierten Gruppen außerhalb der Schule teil. Und sie sind weniger zu konventionellen politischen Beteiligungen bereit, wie, vor allem, wählen zu gehen, in eine Partei einzutreten und sich wählen zu lassen.

Macht Reichtum gleichgültig?

Was die Schule betrifft, so äußern junge Deutsche die überhaupt niedrigste Bereitschaft sowohl zur Mitarbeit in Gremien als auch zu individuellem Engagement – dies gilt auch im Vergleich zu anderen reichen Industrieländern. Insofern unterscheiden sich die Ergebnisse zur Partizipationsbereitschaft in der Schule von denen zur allgemeinen politischen Partizipationsbereitschaft. Bei dieser allgemeinen Bereitschaft zeigt sich vor allem ein Gegensatz zwischen den reichen Industrieländern und den ärmeren Ländern Südeuropas und Südamerikas mit ihren politisch sehr viel aktiveren Jugendlichen. Bei der schulischen Partizipation rangiert die Bereitschaft in Deutschland mit deutlichem Abstand auch hinter den anderen reichen Ländern.

Dagegen sind freizeitorientierte Aktivitäten wie die Teilnahme an Sportvereinen oder an künstlerisch orientierten Gruppen in Deutschland überproportional häufig anzutreffen. Für die Studie wurden insgesamt knapp 95.000 Schüler im Alter von 14 und 15 Jahren befragt. In Deutschland waren es rund 4.000.

Vielschichtige Gründe für das geringe Engagement

Der Sozialpsychologe Detlef Oesterreich, Leiter des deutschen Beitrags zum IEA-Projekt, sagt zu den Gründen der Defizite bei den deutschen Jugendlichen im Gespräch mit der dpa: "Solche Ergebnisse haben nicht einen einzigen Grund. Hier greifen allgemeine gesellschaftliche Rahmenbedingungen, die politische Kultur einer Gesellschaft und die konkreten Ausbildungsbedingungen von Jugendlichen ineinander." Man werde diskutieren müssen, in welchem Maße in der deutschen Gesellschaft ein zu geringes soziales und politisches Engagement vorhanden ist, und auch, welche Gründe es dafür in den Ausbildungsbedingungen von Jugendlichen gibt.

Ganztagsschule eröffnet mehr Möglichkeiten

Schulkinder
Bild: AP
Die möglichen Gründe im Schulsystem seien sicher leichter zu benennen als die allgemein gesellschaftlichen. Wie Oesterreich feststellt, ist im internationalen Vergleich das deutsche Schulsystem von seiner organisatorischen Struktur her einmalig: Es kombiniert ein Halbtagsschulsystem mit einem dreigliederigen Aufbau der Sekundarstufe. "Beides ist wenig unterstützend für ein soziales und politisches Engagement. Die Halbtagsschule erzeugt einen hohen Stoffdruck, der wenig Handlungsspielräume für soziales Lernen lässt. In Schulen mit Ganztagsbetrieb, wie es sie in den meisten westeuropäischen Ländern und den USA gibt, sind die Möglichkeiten dafür schon rein zeitlich größer."

"Die bildungspolitische Landschaft in der Bundesrepublik ist in Bewegung geraten. Dies kann nicht falsch sein. Man wird aber nicht einfach Rezepte aus dem Ausland auf die Situation in Deutschland übertragen können, sondern vorher genau überlegen und analysieren müssen, in welchem Maße das, was wo anders gut funktioniert, auch bei uns Erfolg haben kann", sagte der Sozialpsychologe. dpa/(pf)