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Entlassungen trotz Aufschwung

Michael Knigge15. August 2003

Die US-Wirtschaft gibt rund ein Jahr vor der Präsidentschaftswahl ein widersprüchliches Bild ab. Die Konjunktur kommt in Fahrt, doch die Arbeitslosenzahlen steigen weiter. Dagegen kann die Politik kaum etwas tun.

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Mit begrenztem Einfluss auf die Wirtschaft: US-Präsident BushBild: AP

Es klingt paradox: Die US-Wirtschaft gewinnt offenbar immer mehr an Schwung, die Unternehmensgewinne steigen, aber gleichzeitig sind immer mehr Menschen ohne Beschäftigung. Nach einer ersten Prognose des US-Handelsministeriums wuchs die amerikanische Wirtschaft im zweiten Quartal um 2,4 Prozent. In der zweiten Jahreshälte wird die Konjunkturbelebung nach übereinstimmender Meinung von Experten, Regierung und Zentralbank (FED) weiter zulegen. Gleichzeitig planten die US-Unternehmen im Juli mehr als 85.000 Stellen abzubauen, 43 Prozent mehr als im Vormonat. Und die Arbeitslosenquote verharrt auf über sechs Prozent, so hoch wie seit fast neun Jahren nicht mehr.

Schlechte Aussichten für Präsident George W. Bush rund ein Jahr vor der Präsidentschaftswahl? Nicht unbedingt, betonen von DW-WORLD befragte Experten übereinstimmend. Sie geben der Wirtschaftspolitik des US-Präsidenten in den vergangenen drei Jahren gute Noten, verweisen aber auch auf den beschränkten Einfluss der Politik auf die US-Wirtschaft. "Präsident Bush hat alles getan, was er tun konnte", sagt Ullrich Heilemann, Vizepräsident des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI). "Nach der Lehre der klassischen Ökonomie versucht er durch Steuersenkungen die Wirtschaft anzukurbeln."

Greenspan wichtiger als Bush

Doch die Auswirkungen der Steuersenkungen für die Verbraucher sind vergleichsweise gering. "Die US-Verbraucher haben durch die Zinssenkungen der Zentralbank die gleiche Entlastung gehabt wie durch die Steuersenkungen der Regierung", erläutert Christian Jasperneite, Volkswirt bei M.M. Warburg. Das Beispiel verdeutlicht die Verhältnisse: Die Geldpolitik spielt in den USA eine viel wichtigere Rolle als die Wirtschaftspolitik. Im Klartext: Greenspan hat mehr Einfluss auf die Wirtschaft als Bush.

Die auf den ersten Blick erstaunliche Entwicklung, dass trotz kräftigem Wirtschaftswachstum die Beschäftigungsquote sinkt, erklären Experten mit Strukturveränderungen der US-Wirtschaft. Die Produktivität der US-Wirtschaft hat stark zugenommen, deshalb ist die Schwelle bei der sich das Wirtschaftswachstum auf die Beschäftigung auswirkt ebenfalls gestiegen. Traditionell lag die so genannte Arbeitslosenschwelle der US-Wirtschaft in den vergangenen 15 Jahren bei knapp über Null Prozent. Das heißt: Zog die Wirtschaft an, schlug sich dies sofort in einem Abbau der Arbeitslosigkeit nieder. Derzeit dürfte die Arbeitslosenschwelle jedoch bei rund zwei Prozent liegen. Das Wachstum muss also mindestens zwei Prozent betragen, um einen Beschäftigungseffekt nach sich zu ziehen.

"Strukturbruch in den USA"

"Das ist untypisch für die USA und deutet auf einen Strukturbruch hin", sagt M.M. Warburg-Experte Jasperneite. "Er wurde durch die Boomphase der 1990er Jahre ausgelöst. Jetzt gibt es drastische Umstrukturierungen auf der Unternehmensseite. Hier werden unproduktive Bereiche aus dieser Zeit radikal abgebaut." Diese strukturellen Veränderungen könne man keiner Regierung anlasten, betonen die Fachleute. "Wenn die Arbeitsproduktivität schneller wächst als die gesamtwirtschaftliche Wertschöpfung, dann geht die Beschäftigung zurück."

Präsident Bush hat keinen großen Spielraum, auf diesen Prozess einzuwirken. Denn die Arbeitslosenzahlen sind in den USA weniger politisch steuerbar als in Deutschland, weil es viel weniger staatlichen Leistungen gibt. "Ingesamt geht die Wirtschaftspolitik von Präsident Bush in die richtige Richtung. Er hat wie in den USA üblich eine antizyklische Fiskalpolitik gefahren und die Nachfrage durch massive staatliche Investitionen hochgezogen", sagt Christian Jasperneite. Das alleine wird jedoch nicht reichen um die Arbeitslosenzahlen zu senken. "Es könnte sein, dass das Gesamt-Timing genau passt und die Wirtschaft rechtzeitig vor der Wahl anzieht, aber sicher ist es nicht", prognostiziert RWI-Vizepräsident Heilemann. Einen steilen Aufschwung werde es aber auf keinen Fall geben, höchstens ein "Aufschwüngchen".