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Entschädigungszahlungen an NS-Zwangsarbeiter beendet

14. Juni 2007

Die Stiftung zur Entschädigung der NS-Zwangsarbeiter hat über vier Milliarden Euro an gut anderthalb Millionen Zwangsarbeiter aus rund einhundert Ländern gezahlt. Eine Geste der Versöhnung mit einer langen Geschichte.

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Festakt im Schloss Bellevue in Berlin zum Abschluss (12.6.)Bild: AP
"Wenn Sie glauben, ich würde die Bundeskasse noch einmal aufmachen, dann ist die Antwort ‚Nein’", reagierte Helmut Kohl, damals christdemokratischer Bundeskanzler, im August 1998 unwirsch, als er nach einer Entschädigung für ehemalige NS-Zwangsarbeiter gefragt wurde. Die Bundesrepublik hatte die Opfer in Konzentrationslagern mit pauschalen Zahlungen an den Staat Israel und verschiedene osteuropäische Länder entschädigt. Die überlebenden Zwangsarbeiter – rund 1, 6 Millionen Männer und Frauen – waren allerdings leer ausgegangen. Wenige Monate nach Helmut Kohls Ablehnung griff die neue rot-grüne Bundesregierung das Thema wieder auf.

2001: "Stiftung setzt Zeichen"

Sofort nach der Bundestagswahl vereinbarte die neue Regierung unter Beteiligung der deutschen Wirtschaft eine "Bundesstiftung Entschädigung für NS-Zwangsarbeiter". Zweieinhalb Jahre vergingen, bis das Parlament am 30. Mai 2001 die ersten Auszahlungen veranlasste. "Endlich", sagte damals Bundeskanzler Gerhard Schröder zur Eröffnung seiner Rede. "Die Bundesstiftung ‚Erinnerung, Verantwortung und Zukunft‘, die jetzt mit den Auszahlungen beginnen wird, setzt ein Zeichen." Und zwar ein Zeichen dafür, dass Deutschland sich "der schrecklichen Verbrechen seiner Vergangenheit bewusst" sei und das auch so bleibe, erklärte Schröder. Moralische Gründe und beträchtlicher Druck aus den USA waren die Ursache für dieses "Zeichen".

Druck aus den USA

Ende der 1990er Jahre hatten amerikanische Anwälte rund 60 Sammelklagen gegen deutsche Unternehmen eingebracht, um sie zur Zahlung von Entschädigungen zu zwingen. Daran geknüpft waren Boykottdrohungen gegen die deutsche Wirtschaft. Otto Graf Lambsdorff verhandelte seinerzeit im Auftrag der Bundesregierung in Washington mit dem Ziel, diese Klagen abzuweisen. Erst dann wollte die deutsche Wirtschaft zahlen. Im Juli 2000 wurde schließlich ein deutsch-amerikanisches Regierungsabkommen unterzeichnet, wenige Wochen später trat das Gesetz über die Einrichtung einer Stiftung mit einem Volumen von fünf Milliarden Euro in Kraft. Bis die Opfer allerdings eine erste Rate erhielten, sollte noch ein weiteres Jahr vergehen.

Gesinnungswandel

Nahezu jeder zehnte der ehemaligen Zwangsarbeiter war während der Prüfung der Anträge verstorben. Diese Verzögerungen seien für den Einzelnen schmerzlich gewesen, sagte Otto Graf Lambsdorff, aber in den "endlosen Monaten" der zähen und arbeitsintensiven juristischen Verhandlungen habe sich in Deutschland eine "eindrucksvolle Entwicklung" vollzogen: In zahlreichen Gemeinden, Betrieben und Familien sei offen über Zwangsarbeit und Zwangsarbeiter gesprochen worden. Langsam legte sich auch der Widerstand der deutschen Wirtschaft: 50 Prozent des Stiftungskapitals sollten die Unternehmen beisteuern, viele argumentierten zunächst, sie hätten damals, als die Zwangsarbeiter beschäftigt worden waren, in der heutigen Form gar nicht existiert.

Entschädigung und Zukunftsfonds

Schlussendlich zahlten die 100 umsatzstärksten deutschen Unternehmen etwa 1,25 Milliarden Euro in die Stiftungskassen, noch einmal so viel steuerten insgesamt 6500 kleinere Unternehmen bei. Für die Verteilung des Geldes sorgten sieben regionale Partnerorganisationen. Bis Ende 2006 wurden rund 4,4 Milliarden Euro an mehr als anderthalb Millionen Opfer oder deren Erben ausgezahlt. Das übrige Geld floss unter anderem in einen Zukunftsfonds, der Projekte zur Erinnerung an den Holocaust finanziert.

Silke Bartlick
DW-RADIO, 12.6.2007, Fokus Ost-Südost