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Entscheidung über Leben und Tod

Kay-Alexander Scholz2. Juli 2015

Wird Sterbehilfe in Deutschland in der Zukunft liberaler oder restriktiver gehandhabt? Am Donnerstag debattierte der Bundestag erstmals über vier verschiedene Gesetzentwürfe.

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Deutschland Sterbehilfe Symbolbild: Frau im Krankenhaus mit vielen Medikamenten auf dem Tisch
Bild: picture alliance/Sven Simon

In Deutschland ist aktive Sterbehilfe verboten, anders als in Belgien, Luxemburg und den Niederlanden, wo "Töten auf Verlangen" erlaubt ist. Passive Sterbehilfe wie der Verzicht auf lebenserhaltende Maßnahmen hingegen ist möglich. Hier tritt der Gesetzgeber liberaler als zum Beispiel in Polen oder Griechenland auf, wo auch das verboten ist. Der Suizid an sich und auch die Beihilfe dazu sind in Deutschland straffrei.

Ob diese Rechtslage so bestehen bleibt, entscheidet der Bundestag bis zum Jahresende. Grund für die Neuregelung sind Sterbehilfe-Vereine, die auf den deutschen Markt drängen und die rechtlichen Spielräume ausnutzen.Die Abgeordneten müssen nun entscheiden, ob oder unter welchen Bedingungen Sterbehilfevereine und Einzelpersonen, die Suizid-Beihilfe anbieten, in Deutschland erlaubt bleiben.

Vier Entwürfe liegen vor

Das Besondere an der Debatte ist, dass den Abgeordneten vier unterschiedliche Gesetzentwürfe vorliegen. Bei der Abstimmung über diese schwierige Frage sind sie vom Fraktionszwang befreit. Als wäre das Thema nicht schon komplex genug, berühren die Entwürfe auch noch eine bestehende Grauzone für Ärzte in der Sterbebegleitung, die es zu berücksichtigen gilt.

Die Grauzone entsteht dadurch, dass 10 von 17 Landesärztekammern in Deutschland die eigentlich straffreie Suizid-Beihilfe berufsrechtlich verboten haben. Bei Verstößen droht der Entzug der Zulassung, als Arzt arbeiten zu dürfen. Im Ergebnis ist derzeit in Berlin untersagt, was in Bayern erlaubt ist.

Der liberalste der vier Entwürfe will zwei Dinge ändern: Verboten werden soll, mit dem Sterben anderer Profit machen zu wollen. Nicht-kommerziell ausgerichtete Vereine aber soll es weiterhin - allerdings unter Auflagen - geben. Dieser Entwurf von Abgeordneten der Oppositionsparteien Linke und Grüne will zudem die Grauzone für Ärzte abschaffen, dadurch dass das neue Gesetz die Verbote der Ärztekammern aushebeln will.

Der zweite Entwurf ist restriktiver. Er will jedwede organisierte Form der Sterbehilfe verbieten. Ein nur-kommerzielles Verbot reiche nicht aus, weil eine entsprechende Gewinnabsicht verschleiert werden könnte. Deshalb müsse jede "auf Wiederholung" angelegte Sterbehilfe verboten werden. An der Situation der Ärzte soll sich nichts ändern.

Dieser Entwurf hat derzeit die besten Chancen. Er wird von Abgeordneten aller Parteien unterstützt. Auch die Kanzlerin ist dafür. Mit dem Tod und dem Sterben dürfe schließlich kein Geschäft gemacht werden, sagte Angela Merkel im Juni.

Ethische Fragen

Ein dritter Entwurf will Sterbehilfe generell verbieten, also auch in Einzelfällen durch Ärzte oder Angehörige. Diese Praxis ist durchaus auch in Deutschland verbreitet. "Einem anderen dabei behilflich zu sein, das Leben zu beenden, ist niemals eine menschliche Tat", sagte der CDU-Abgeordnete Patrick Sensburg, einer der Autoren dieses Entwurfs.

Deutschland Sterbehilfe Symbolbild: Zwei Hände halten sich fest (Foto: dpa)
Hilfe zum Leben oder zum Sterben? In den letzten Stunden kommt es vor allem auf menschlichen Beistand anBild: picture-alliance/dpa/S. Kahnert

Der vierte Entwurf stammt von Abgeordneten der Regierungsfraktionen SPD und CDU/CSU. Er will Sterbehilfevereine nicht verbieten, also keine Verschärfung im Strafrecht vornehmen. Stattdessen soll Ärzten der "assistierte Suizid" ausdrücklich erlaubt und damit den Vereinen das Geschäftsmodell entzogen werden.

Es ginge um 500 Fälle im Jahr, sagte der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach, bei denen die Hospiz- oder Palliativmedizin nicht helfen könne. Für diese Menschen wäre Sterbehilfe durch einen Arzt des Vertrauens möglich. Dieser müsste dann in der Folge auch nicht um seine berufliche Zulassung bangen.

Bei den Ärzten selbst stößt dieser Entwurf auf wenig Zustimmung: "Man soll nicht durch den Arzt sterben, aber an der Hand des Arztes in den Tod begleitet werden", sagte der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery.

Dammbruch oder Dienstleistung?

Über Sterbehilfe wird in Deutschland seit Monaten diskutiert. Der Deutsche Ethikrat warnte nach einer ausführlichen Beratung davor, dass "ein Regelangebot von Ärzten oder eine Dienstleistung eines Vereins" den gesellschaftlichen Respekt vor dem Leben schwächen könnte.

Die Evangelische Kirche gab zu bedenken: Niemand solle meinen, "dass er nur würdig sterben kann, wenn er sich das Leben nimmt", sagte der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Heinrich Bedford-Strohm.

Die katholische Kirche warnte vor einem "Dammbruch", insbesondere Bezug nehmend auf den vierten vorgelegten Gesetzentwurf. Darin solle "der ärztliche Suizid erstmals als ärztliche Aufgabe definiert" werden, kritisierte Prälat Karl Jüsten, Leiter des Kommissariats der Deutschen Bischöfe.

Sensibler Umgang

Die Parlamentarier wollen sich mit der Neuregelung Zeit lassen. Zum Auftakt der Debatte im November 2014 hatte Bundestagspräsident Norbert Lammert erklärt, dass es sich um das "wohl anspruchsvollste Gesetzgebungsverfahren dieser Legislaturperiode" handele.

Dass Politik und Ärzteschaft in Deutschland so sensibel mit dem Thema Sterbehilfe umgehen, hat auch mit dem schwierigen Erbe des Nationalsozialismus zu tun. 300.000 Menschen wurden während des NS-Regimes ermordert, weil ihr Leben als "unwert" betrachtet wurde.

Die Opfer der "Euthanasie" waren geistig oder körperlich Behinderte, aber auch sogenannte Asoziale. Bei der Einweihung eines Denkmals für die "Euthanasie"-Opfer im September 2014 in Berlin hatte Kulturstaatsministerin Monika Grütters davor gewarnt, in der Diskussion über Sterbehilfe das Tötungsverbot leichtfertig infrage zu stellen.