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Erben oder erwerben

Ingun Arnold27. Dezember 2002

Fällt der Name Stradivari, dann gerät der Musikfreund ins Schwärmen. Der Instrumentenhändler auch. Der Handel mit den alten Geigen ist ein hochprofitables Geschäft. Und nichts für Zartbesaitete.

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Ein Himmel voller Geigen ...Bild: AP

Die brillierenden Stradivaris und ihr Pendant, die temperamentvollen Guarneris, gelten heute als die wertvollsten Geigen der Welt: Sechs Millionen Dollar soll im Jahr 2000 ein Sammler aus dem US-amerikanischen Seattle für eine Guarneri aus dem Fundus von Yehudi Menuhin gezahlt haben. 1998 erzielte die "Rudolf Kreutzer"-Stradivari bei Christie’s in London einen Auktionsrekord: Sie wurde für umgerechnet anderthalb Millionen Dollar versteigert.

Der Charme des Alters

Guarneri und Co
Meisterwerke von Antonio Stradivari, Pietro Guarneri, Giovanni Battista Guadagnini und Carlo TononiBild: AP

Was ist es, das die Geigen so wertvoll macht? So ganz genau weiß das niemand. Es ist wohl das Geheimnisvolle, das Mysterium, das diese alten Instrumente umgibt. "Eine alte Geige kriegt einen Heiligenschein, auch wenn man sie im Konzertsaal oft nicht so genau von einer zeitgenössischen unterscheiden kann", meinen die Geigenbauer der Neuzeit nahezu unisono. "Es ist wohl die Ehrfurcht vor dem Instrument."

Die Stradivaris, Guarneris, Guadagninis und wie sie alle sonst noch heißen, haben mehr als nur das gewisse Etwas: Sie sind Kleinode der Handwerkskunst und allein schon deshalb gefragt, weil sie in einem Atemzug mit weltbekannten Musikern genannt werden. Die Nachfrage steigt und steigt, das Angebot ist und bleibt auf wenige hundert beschränkt. Ergo: Die Preise klettern und klettern.

Wo "Preisverfall" ein Fremdwort ist

Violine, Detail
Bild: AP

Alte Streichinstrumente sind eine exzellente Geldanlage mit Aussicht auf hohe Renditen. Dazu gibt es ein eindrucksvolles Zahlenspiel von Kristin Suess von der University of Cincinnati: Sie hat die (fiktive) Wertentwicklung von 5000 Dollar - angelegt in Schatzbriefen, Aktien und Geigen - im Zeitraum von 1960 bis 1996 verglichen. Die Schatzbriefe sind Durchschnitt: Sie hätten zwischen 47.000 und 56.000 Dollar gebracht. Der Aktienwerte hätten sich immerhin auf 52.000 bis 64.000 Dollar vermehrt. Doch die alte Geige stellt sie alle mühelos in den Schatten – mit sage und schreibe 242.000 Dollar.

Dass es tatsächlich funktioniert, erzählt Dietmar Machold, Geigenbauer und Instrumentenhändler mit Niederlassungen in Bremen, Zürich, Wien, Tokio und New York: "Mein Vater hat Anfang der 1970er eine Guarneri für 50.000 Dollar verkauft", berichtet er, "später kam sie wieder zurück zu uns – bis ich sie 2001 für 3,4 Millionen Dollar wieder veräußert habe."

Die Firma Machold baut und verkauft seit 141 Jahren Geigen. Allein der Versicherungswert der Machold Rare Violins GmbH liegt bei 70 Millionen Dollar. Wer auf dem Instrumentenmarkt zu Geld kommen will, braucht nicht nur ein glückliches Händchen, sondern zwei: eines für die alten Geigen und eines für den Finanzmarkt.

Die Verlockung des großen Geldes

Violine
Bild: AP

Der Markt für alte Streichinstrumente ist einer für professionelle, solvente und nicht selten gierige Sammler. Nach außen hin ganz gentleman-like, hat die Branche das Zeug zum handfesten Krimi. Es geht nicht selten um Macht, Sex, Raub und Mord. Hanebüchene Deals verbergen sich unter ihrem exquisiten und elitären Deckmantel. Der bekannteste davon ist der Versuch einiger Top-Händler aus Großbritannien und den USA, sich die Sammlung des Exzentrikers Gerald Segelman – Schätzwert 15 bis 34 Millionen Dollar – unter die Nägel zu reißen (siehe Hintergrund im "Guardian" vom 31.8.2002).

Und manch einer würde für eine Stradivari auch einen Mord begehen. So geschehen in Bremen 1996: Die 60 Jahre alte Musikprofessorin Maria Grevesmühl stürzt zu Tode. Was wie ein Unfall aussieht, war ein Raubüberfall. Ihre Stradivari kommt abhanden – um 24 Stunden später aus der Unterwelt der zwielichtigen Händler wieder aufzutauchen. "Bei denen ist die Versuchung groß, Kasse zu machen", weiß auch Dietmar Machold. Er kannte Maria Grevesmühl seit Jahrzehnten. Sie war Stammkundin von Machold Rare Violins.