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Erdapfel gegen Kartoffel

Gerald Heidegger, ORF.at18. August 2004

Österreich gegen Deutschland - oder was hinter einem banalen Fußballmatch steht. Das Spiel der Spiele aus der Sicht der Österreicher.

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Kollegen und Konkurrenten: Klinsmann und Krankl

Österreicher und Deutsche seien die einzigen zwei Nationen, die durch dieselbe Sprache getrennt seien, schrieb Karl Kraus einmal sinngemäß. Auch wenn Kraus damit nur einen Satz des Amerikaners Mark Twain über die Engländer und die Amerikaner abwandelte, so lässt sich diese Einsicht vom Feld der Sprache auf das Spielfeld des Fußballs übertragen.

Deutschland und Österreich sind die einzigen zwei Länder, die durch die gleiche Art, Fußball zu spielen, getrennt sind. Denn mittlerweile haben die Deutschen, deren Spielstil die Österreicher laut jüngsten Äußerungen von Teamchef Hans Krankl viel zu lange kopiert hätten, ja beinahe österreichisches Erfolgsniveau erreicht.

Eine alte Fußballweisheit

Schon lange ist Fußball nicht mehr ein Spiel mit 22 Mann, bei dem am Ende immer die Deutschen gewinnen, wie Gerry Linnecker es formulierte. Mittlerweile muss man den Deutschen ja schon die Austragung der Fußball-WM überlassen, damit Klinsi, Kahn und Co. nicht mehr in die Schmach einer Qualifikation müssen.

Die Suche nach dem richtigen Niveau

Deutschland sucht den "Anschluss", und das klingt 2004 nicht mehr wie eine Drohung. Deutschland sucht den Anschluss an das Weltniveau, und diesem sind die Österreicher abseits des Fußballs bei manchem mittlerweile näher als die Deutschen.

"Hartz IV", das kann Österreichern nur ein müdes Lächeln auf die Lippen zaubern. Mit Härten, die man in Deutschland fürchtet, lebt man hier schon längst. Die in diesen Tagen wieder skandierte Parole "Wir sind das Volk" würde man zumindest in Wien am ehesten mit den Worten "Ja eh!" kommentieren.

Vorbei die Zeit der Ängste

Hatte man in den letzten Jahrzehnten in Österreich Ängste, von den Deutschen in wirtschaftlicher Hinsicht angeschlossen zu werden, so verweist man bei deutschem Investment in heimische Betrieben ja mittlerweile auf die "Attraktivität des heimischen Wirtschaftstandortes".

Die "Piefke-Sage" von der Verdeutschung des Alpenraumes, sie hat eigentlich ausgedient. Und dort, wo die Tiroler noch heute auf der Alm "Käsesahnekuchen" statt "Topfentorte" verkaufen, kann man eigentlich nur sagen: selber Schuld, wer fürchtet, auf seinem eigenen Quark, pardon: Topfen, sitzen zu bleiben.

Wer ist eigentlich wer?

Das alte Hassliebe-Duell zwischen den "Piefkes" und den "Ösis", es könnte ausgedient haben. Denn wer ist nun der prototypische Deutsche? Ist es schon der Bayer? Ah, geh zua! Na dann vielleicht der Hesse, der Niedersachse? Der Preuße ist es allemal. Doch wer eigentlich als Preuße zu gelten hat, darüber ist man sich bekanntermaßen ja schon in München nicht ganz eins.

Identität und Erdapfel

Und was sollte der typische Österreicher sein? Als jüngst heimische Schriftsteller in einem nicht gerade übergroßen Beweis von Weltläufigkeit zum verfassungsmäßigen Schutz des Wortes "Erdapfel" aufriefen, kamen aus Westösterreich zu Recht Proteste: Denn dort ist der "Erdapfel" eben eine "Kartoffel".

Wenn man also nicht einmal bestimmen kann, was das Österreichische ist, wie soll man wissen, wer es am Mittwochabend im Ernst-Happel-Stadion mit wem zu tun hat?

AEIOU, und drauß't bist du

Spielen wir am Ende nicht gegen uns selbst? Denn wie hieß das alte Motto, das der erste Kaiser aus dem Hause Habsburg auf alle Pforten meißeln ließ: AEIOU, "Austriae est imperare orbi universo" - es ist Österreichs Bestimmung, die Welt zu beherrschen.

Freilich stehen solche Sprüche nur noch auf Souvenirartikeln, die es rund um die Wiener Hofburg zu kaufen gibt. Im Wiener Prater werden am Mittwochabend ganz andere als imperiale Farben aufgetragen.

Viele Fans werden rote Shirts mit einem Aufdruck auf dem Rücken tragen: "Cordoba 78". Auch das waren andere Zeiten. Dank Robert Musils "Mann ohne Eigenschaften" wissen wir ja: Es gibt neben dem "Wirklichkeitssinn" auch noch den "Möglichkeitssinn". Ein 3:2 ist also möglich. Aber ist es auch realistisch?