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Schlechter Erdbebenschutz

8. April 2009

Erdbeben sind in Italien keine Seltenheit, das Land liegt an einer Schnittstelle tektonischer Platten. Trotzdem sind die wenigsten Häuser erdbensicher - und beim Wiederaufbau vierdient die Mafia kräftig mit.

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DW-Grafik: Peter Steinmetz
Mittelitalien wurde schon häufig von Erdbeben erschüttert

In "San Giovanni a Teduccio", am östlichen Stadtrand von Neapel stand früher eine große Fabrik. Nudeln und Konservendosen mit Tomaten wurden hier hergestellt, Arbeit für Tausende Menschen, erzählt Priester Tonino Palmese. "Heute gibt es die Fabrik nicht mehr, dafür 540 Familien, die im wahrsten Sinne des Wortes hierhin deportiert wurden." Diese Menschen waren durch ein verheerendes Erdbeben obdachlos geworden und wurden zwangsumgesiedelt. "Ihre Wurzeln, ihre Kultur haben sie dabei verloren."

In der Region Kampanien starben 1980 3.000 Menschen bei einem Erdbeben, zehntausende wurden obdachlos. Dabei sind Erdbeben sind in Italien völlig normal. Die Erdbeben sind Teil eines Systems aus sich verschiebenden Kontinentalplatten, die Druck ausüben, erklärt der Seismologe Alessandro Amato.

Erdbebenschutz nicht wichtig

Doch das scheinen die Italiener gerne zu verdrängen. Nur wenn es zu Katastrophen wie in den Abruzzen kommt, werden sie sich bewusst, welcher Gefahr sie ausgesetzt sind. Ansonsten ist das Thema Erdbebenschutz der Öffentlichkeit nicht besonders wichtig. "Die Regionen und Gemeinden müssten viel gründlicher über diese Ereignisse informieren, aber vor allem im Süden ist das schwer", beklagt die Erdbebenhistorikerin Emanuela Guidoboni. "Es gibt viel Widerstand, was mit dem weit verbreiteten Fatalismus und dem Aberglauben zu tun hat, über Unglücke will man nicht sprechen."

In San Giovanni a Teduccio hat die Camorra das Sagen. Im Gegensatz zum historischen Zentrum reiht sich hier ein grauer Wohnblock an den anderen. Die tristen Betonklötze wurden für die Erdbebenopfer in Kampanien gebaut. Darunter auch Pietro del Golfo.

Hilfsgelder landen bei der Camorra

Gegen Schmiergeldzahlungen an die damals verantwortlichen Politiker wanderten die Hilfsgelder für den Wiederaufbau des Erdbebengebietes in die Taschen der Bauunternehmer, die mit der Organisierten Kriminalität gemeinsame Sache machten. Ein typisches Beispiel, sagt die Historikerin Emanuela Giudoboni. Der Wiederaufbau von Erdbebengebieten sei in der Geschichte Italiens immer problematisch gewesen. "Die unverhältnismäßig lange Dauer der Aufbauarbeit zeigt, dass es dabei meist nicht mit rechten Dingen zugeht. Nur wenige wissen, dass das Erdbeben von 1976 in der norditalienischen Region Friaul das einzige in ganz Italien ist, dass offiziell abgeschlossen ist."

Und das einzige, dessen Nachwirkungen nicht mehr im Stadtbild zu sehen sind. In fast allen anderen Erdbebengebieten Italiens erinnern Container und provisorische Behausungen daran, dass die Betroffenen, die bei dem Unglück ihre Häuser verloren, immer noch keine feste Bleibe haben. "Der Wiederaufbau wird nicht beendet, weil er wirtschaftliche Vorteile mit sich bringt“, sagt Historikerin Giudoboni.

Wiederaufbau als Geschäftsmodell

Denn an Geld mangelt es meistens nicht und je länger der Aufbau dauert, desto mehr wird aus Rom geschickt. Oft genug landet es aber nicht bei den Erdbebenopfern, sondern versickert in den Taschen einiger weniger. Die italienische Regierung erwägt derzeit, Hilfsgelder aus dem europäischen Solidaritätsfond anzunehmen.

Was sich die betroffenen Menschen in den Abruzzen wünschen, bringt der Direktor der Lokalzeitung "Il centro" auf den Punkt. "Wir wollen, dass unsere Häuser wiederaufgebaut werden, erdbebensicher und ohne dass sich irgendwer daran eine goldenen Nase verdient", sagt Gigi Vicinanza aus L`Aquila während die Rettungsarbeiten dort unvermindert weiterlaufen.

Autorin: Kirstin Hausen

Redaktion: Manfred Götzke