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Erdogan beharrlich gegen jedes Einlenken

Baha Güngör3. Juni 2013

Trotz der wachsenden Kritik aus dem In- und Ausland an seinem autoritären Führungsstil lenkt Erdogan nicht ein. Türkei-Experten fürchten eine weitere Eskalation der Zusammenstöße zwischen Demonstranten und der Polizei.

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Der türkische Premier Erdogan (Mitte) und seine beiden Stellvertreter Bulent Arinc (links) und Bekir Bozdag bei einer Pressekonferenz am 3. Juni (Foto: Reuters)
Bild: Reuters

Seit Tagen erlebt die Türkei eine in der jüngeren Geschichte des Landes beispiellose Welle von Demonstrationen – sie richten sich gegen den religiösen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan. Beispiellos ist auch das brutale Vorgehen der türkischen Polizei gegen die protestierenden Menschenmassen in Istanbul, in der Hauptstadt Ankara sowie in Izmir und in weiteren Ballungszentren Anatoliens. Trotz der angespannten Lage trat Erdogan am Montag (03.06.2013) seine Rundreise nach Marokko, Tunesien und Algerien planmäßig an. Mindestens zwei Todesopfer sind bislang zu beklagen, die Zahl der Verletzten bei den Zusammenstößen beläuft sich derweil auf nahezu 2500. Rund 2000 Menschen wurden in mehr als 60 Städten festgenommen.

"Erdogan ist gewählter Regierungschef"

Aus den Protestaktionen von Umweltschützern gegen ein ambitioniertes Bauprojekt am zentralen Istanbuler Taksim-Platz an Stelle eines kleinen Parks entwickelten sich nach dem überharten Vorgehen der Polizei Demonstrationen, die alle Schichten der Gesellschaft erfasst haben. Die Unnachgiebigkeit Erdogans und seine Auffassung, die Demonstrationen seien von "marginalen Gruppen" gesteuert, führte bereits zu Vergleichen mit den beim "arabischen Frühling" gestürzten Despoten. Das aber findet Günter Seufert, Türkei-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik, nicht angebracht: "Erdogan ist im Gegensatz zu den gestürzten arabischen Führern ein demokratisch gewählter Regierungschef." Die Türkei sei kein totalitäres Regime und es gebe eine Reihe von demokratischen Mechanismen, die funktionierten.

Demonstrationen sind Denkzettel

Der türkische Kolumnist und Politik-Experte Cengiz Candar sieht nach mehr als zehn Jahren in der Verantwortung eine gewisse "Regierungsmüdigkeit" Erdogans: "Er versucht diese Regierungsmüdigkeit mit Eitelkeit und Hochmut und im Notfall mit der Grausamkeit von Tränengas und Wasserwerfern zu übertünchen. Doch glaube ich nicht mehr daran, dass dieses Volk Erdogan nächstes Jahr zum Präsidenten wählt und ihn auch zwei Amtszeiten an der Staatsspitze zu ertragen bereit ist."

Polizisten in Izmir sehen sich anhaltenden Protesten ausgesetzt (Foto: Reuters)
Proteste gegen die Regierung in IzmirBild: Reuters

Es ist nicht damit zu rechnen, dass sich Erdogan beim türkischen Volk für sein Verhalten entschuldigt, wie der Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu am Montag nach einem Gespräch mit Staatspräsident Abdullah Gül forderte. Seufert vertritt die Auffassung, dass die religiös-konservative Regierung Erdogans die Demonstrationen als "Denkzettel" bewerten sollte: "Seine Chancen auf eine erneute absolute Mehrheit bei den Wahlen im nächsten Jahr sind jedenfalls verringert."

Keine homogene Opposition

Von einer homogenen Opposition gegen Erdogan kann derweil überhaupt nicht gesprochen werden. Anhänger der sozialdemokratischen Republikanischen Volkspartei (CHP), ihr nahestehende Kemalisten, deren Leitmotive auf den Republikgründer Mustafa Kemal Atatürk zurückgehen, Nationalisten,  Kurden, Aleviten, die von der sunnitischen Übermacht im Lande als eine religiöse Minderheit akzeptiert werden wollen, sowie kleinere marginale religiöse Gruppen wie "Antikapitalistische Moslems" haben sich zu einer Oppositionsfront zusammengefunden. Was passieren soll, wenn das gemeinsame Ziel, Erdogan zu stürzen, erreicht wird, das wird derzeit nicht diskutiert.

Im Rahmen seiner von Erdogan selbst sogenannten "verrückten Projekte" – sie sehen einen dritten Flughafen für Istanbul, einen Kanal zur Entlastung der Meeresenge Bosporus und Mammut-Moscheen an zentralen Plätzen und auf den Hügeln vor - wurde auch mit dem Bau der dritten Bosporus-Brücke begonnen. Sie wurde nach dem Osmanischen Sultan "Yavuz Sultan Selim" benannt. Die Herrschaft von Sultan Selim I. (1470-1520) ist verbunden mit Verfolgung und Massakrierung von Aleviten. Eine Namenswahl also, die Erdogan viel Kritik bescherte. Auch in diesem Streit ließ Erdogan keine Bereitschaft erkennen, sich eine andere Lösung einfallen zu lassen: "Wir lassen uns doch nicht von ein paar Plünderern den Namen eines wichtigen Projekts diktieren."

Protestierende mit der türkischen Fahne in Istanbul (Foto: Reuters)
Demonstranten im Gezi-Park nahe dem Taksim-Platz in IstanbulBild: Reuters

Hohn aus Syrien

Aus dem Nachbarland Syrien, in dem ein Bürgerkrieg tobt und die Oppositionellen in ihrem Kampf gegen den Despoten Baschar al Assad von Erdogan unterstützt werden, kam am Montag Hohn und Spott. Das syrische Außenministerium riet von Reisen in die Türkei ab, wie es in einer im syrischen Fernsehen verlesenen Erklärung hieß. Die Sicherheitslage in den türkischen Städten habe sich erheblich verschlechtert – "wegen gewalttätiger Handlungen der Regierung von Erdogan gegen friedliche Demonstranten".  Bislang sind nach Angaben der Vereinten Nationen bereits 380.000 Menschen aus Syrien in die Türkei geflüchtet.