1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Erdogan gibt sich martialisch

15. Juli 2017

Am Jahrestag des Putschversuches in der Türkei hat Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan erneut angekündigt, die Todesstrafe wieder einführen zu wollen. In der Nacht wird das Gedenken weiter inszeniert.

https://p.dw.com/p/2gboc
Recep Tayyip Erdogan winkt seinen fahneschwenkenden Anhängern zu (Foto: Reuters)
Bild: Reuters/Turkish Presidency

Bei einer Gedenkveranstaltung an einer Bosporusbrücke in Istanbul (Artikelbild) sagte Erdogan, er würde ein entsprechendes Gesetz unterschreiben, wenn das Parlament es verabschieden würde. Zuvor hatte die Menge in Sprechchören die Wiedereinführung der Todesstrafe verlangt.

Der Präsident hatte einen solchen Schritt in der Vergangenheit mehrfach ins Gespräch gebracht. Kurz nach seinem Sieg beim Verfassungsreferendum vor drei Monaten war das Thema aber wieder von der Tagesordnung verschwunden.

Luftaufnahme des einen Endes der Brücke, auf der Straße steht eine Vielzahl Menschen (Foto: Reuters)
Die Teilnehmer der Veranstaltung verwandelten die Bosporus-Brücke in ein LichtermeerBild: Reuters

Bei seiner Rede vor - Medienberichten zufolge - hunderttausenden Anhängern brachte er seine Abscheu gegen die Putschisten zum Ausdruck. "Wir werden diesen Verrätern den Kopf abreißen", kündigte der Präsident ein erbarmungsloses Vorgehen gegen die Verantwortlichen des Putsches an. Die inhaftierten Drahtzieher sollten "Uniformen wie in Guantanamo" tragen, schlug er vor. Damit spielte er auf das umstrittene US-Gefangenenlager an, in dem Terrorverdächtige festgehalten wurden und werden.        

Landesweite Feierlichkeiten

In der ganzen Türkei wird am Wochenende an den gescheiterten Putsch gegen den Präsidenten vor einem Jahr erinnert. Am Abend des 15. Juli 2016 hatte eine Gruppe Militärs versucht, die Macht in der Türkei zu übernehmen. Der Umsturzversuch scheiterte am Widerstand der Bevölkerung.

Bei der Veranstaltung an der Bosporusbrücke - die umbenannt wurde in "Brücke der Märtyrer des 15. Juli" - hat Erdogan ein Denkmal für die 249 Opfer auf Seiten der Putschgegner enthüllt. Fotos der Getöteten wurden auf Bildschirmen gezeigt und ihre Namen wurden verlesen. Soldaten hatten die Brücke vor einem Jahr mit Panzern abgesperrt. Plakate mit Szenen aus der Putschnacht riefen die Türken nun dazu auf, kurz nach Mitternacht zu "Demokratiewachen" auf die Straße zu kommen.

Nach seinem Auftritt in Istanbul flog Erdogan nach Ankara. Dort hielt er in der Nacht noch eine Ansprache vor dem Parlament. Um 2.32 Uhr Ortszeit hatten Putschisten vor einem Jahr das Gebäude bombardiert. Die beiden größten Oppositionsparteien - die CHP und die HDP - hatten angekündigt, an der Veranstaltung nicht teilzunehmen.

Opposition beklagt Weg in Autokratie

Am Nachmittag erschienen aber beide Parteien zu der Sondersitzung des Parlaments, das vor einem Jahr unter massiven Beschuss geriet. Kemal Kilicdaroglu, Vorsitzender der CHP, warf der Regierung vor, die Aufarbeitung der Putschereignisse und -hintergründe zu behindern. "Die Justiz wurde zerstört", beklagte Kilicdaroglu im Parlament. Alle Rechtsabläufe hätten sich im vergangenen Jahr immer weiter vom gesetzlichen Rahmen entfernt. Unter dem Vorwand der Putschistenverfolgung würde die Regierung ihre Gegner ausschalten.

Der stellvertretende Chef der pro-kurdischen Oppositionspartei HDP, Ahmet Yildirim, kritisierte unter anderem die Massenentlassungen und die Inhaftierungen von HDP-Abgeordneten. Er beschuldigte Erdogans AKP, einen "zweiten Putsch" durchgeführt zu haben.

Schuldfrage ungeklärt

Erdogan wirft dem in den USA lebenden Prediger Fethullah Gülen vor, der Drahtzieher des Putschversuchs gewesen zu sein. Dieser hat die Vorwürfe zurückgewiesen. Dennoch wurden wegen mutmaßlicher Kontakte zur Gülen-Bewegung in den vergangenen zwölf Monaten in der Türkei rund 50.000 Menschen festgenommen und rund 150.000 Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes, der Justiz, der Polizei und des Militärs entlassen oder vom Dienst suspendiert.

Regierungschef Binali Yildirim sagte bei der Sondersitzung vor den Abgeordneten über den 15. Juli 2015, dass "aus der dunkelsten Nacht die Nacht der Helden wurde". Die Türkei habe an diesem Tag einen "zweiten Unabhängigkeitskrieg" gewonnen. Yildirim bezog sich mit seiner Ansprache auf den Krieg nach dem Zerfall des Osmanischen Reichs, aus dem 1923 die Türkische Republik hervorgegangen war.

ust/ml (dpa, afp, ap, rtr)