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Politik

Erdogan kritisiert deutsche Stiftungen

4. Oktober 2011

Politik paradox: Die türkische Regierung kritisiert deutsche Stiftungen wegen angeblicher Unterstützung der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK. Dabei führt sie selbst mit ihr Geheimverhandlungen.

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Der türkische Ministerpraesident Recep Tayyip Erdogan (Foto: AP)
Bild: AP

Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan liebt den großen Auftritt. Und er liebt den Populismus. An diesem Wochenende, auf dem Rückflug von einem Besuch in Mazedonien, schwang Erdogan die Verbalkeule in Richtung Deutschland. Deutsche politische Stiftungen, so Erdogan vor Journalisten, unterstützten indirekt die PKK. Kredite für Infrastrukturprojekte im kurdischen Osten des Landes, wie zum Beispiel die Modernisierung von Abwassersystemen, würden als Deckmantel für finanzielle Hilfsleistungen an die PKK benutzt.

Stiftungsvertreter: Vorwürfe unbegründet 

Die Vertreter deutscher Stiftungen in der Türkei wiesen die Beschuldigungen umgehend zurück. "Das ist abwegig. Wir haben keine Kredite an Verwaltungsorgane vergeben. Dies gehört nicht zu unseren Aufgaben", sagt der Leiter des Istanbuler Büros der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung, Michael Meier. "Unsere Arbeit wird regelmäßig von deutschen und türkischen Stellen kontrolliert."

Kurdendemonstration in Istanbul (Foto: AP)
Kurdendemonstration in IstanbulBild: AP

Ralf Fücks, Vorstand der den Grünen nahestehenden Heinrich-Böll-Stiftung, und Ulrike Dufner, Büroleiterin der Stiftung in Istanbul, erklärten, die Anschuldigungen Erdogans entbehrten jeder sachlichen Grundlage. "Aus unserer Sicht zielen die Vorwürfe des türkischen Ministerpräsidenten darauf ab, Kontakte der Stiftungen zur politischen Opposition in der Türkei in die Grauzone der Unterstützung der PKK zu rücken. Das gilt insbesondere für die pro-kurdische zivile Opposition."

Spekulationen um staatliche Entwicklungshilfe

Erdogan erwähnte keine der Stiftungen namentlich. Mehrere regierungsnahe türkische Zeitungen berichteten, die Vorwürfe richteten sich unter anderem gegen die Friedrich-Ebert-Stiftung. Doch auch die KfW-Bankengruppe und die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) - beides keine Stiftungen, sondern staatliche Institutionen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit - wurden genannt.

GIZ und KfW seien mit Genehmigung der türkischen Regierung im Land aktiv, sagt Sebastian Lesch, Sprecher des deutschen Entwicklungshilfeministeriums. "All diese Projekte", so Lesch im Gespräch mit DW-WORLD.DE, "sind mit der türkischen Regierung abgestimmt". Auch bei der Ausschreibung von Infrastrukturprojekten würden die türkischen Stellen einbezogen. Die Auftragsvergabe erfolge unter Beachtung internationaler Standards und nach rein wirtschaftlichen Kriterien.

Türkei-Experte: Vorwürfe sind Ablenkungsmanöver

Auch der Türkei-Experte Günther Seufert von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) hält die Vorwürfe Erdogans für abwegig. Seufert glaubt an ein Ablenkungsmanöver: "Indem Erdogan die Deutschen beschuldigt, die PKK zu finanzieren, versucht er den Unmut über seine eigene Kurden-Politik zu besänftigen. Erdogan will die Wogen glätten und die Aufmerksamkeit auf andere lenken."

Schließlich spreche die Regierung schon seit längerem mit dem inhaftierten PKK-Chef Öcalan über ein Ende des bewaffneten Konflikts. Und erst vor zwei Wochen sei bekannt geworden, dass die Regierung Geheimverhandlungen mit kurdischen Kämpfern im Nordirak geführt habe.

PKK-Chef Abdullah Öcalan (Foto: AP)
Ungeliebter Verhandlungspartner: PKK-Chef Abdullah ÖcalanBild: AP

Die türkische Regierung habe erkannt, sagt SWP-Experte Seufert, dass "sie den Konflikt nur lösen kann, wenn sie den kulturellen Forderungen der Kurden entgegenkommt, und der PKK ermöglicht, die Waffen niederzulegen und in den politischen Prozess einbezogen zu werden". In der Bevölkerung und der national gesinnten Opposition ist dieser Kurs allerdings umstritten. Die Deutschen kämen da als Blitzableiter gerade recht.

Die kurdische Arbeiterpartei PKK kämpft seit Mitte der achtziger Jahre gegen die türkische Regierung. Ihr Ziel: mehr Freiheit, mehr Autonomie und mehr kulturelle Rechte für die Kurden in der Türkei. Ein Kampf, bei dem mehr als 30.000 Menschen ums Leben kamen und der auf beiden Seiten lange mit brutalen Methoden geführt wurde.

In den vergangen Jahren hat sich die Situation der Kurden in der Türkei verbessert. Die AKP von Regierungschef Erdogan setzte eine Reihe von Reformen durch. Der Gebrauch der kurdischen Sprache wurde legalisiert. Es gibt kurdische Rundfunkprogramme, die Kurdenpartei BDP sitzt im Parlament und regiert eine ganze Reihe von Städten im Osten des Landes.

Autor: Nils Naumann
Redaktion: Friederike Schulz