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"Ereignisse an der belarussischen Front sind Lektion für Russland"

11. Januar 2007

Moskaus Strategie, sich seine Nachbarn mit dem Energie-Knüppel unterzuordnen, funktioniere nicht mehr, meint Dmitrij Oreschkin von der russischen Akademie der Wissenschaften. DW-RADIO/Russisch sprach mit dem Politologen.

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Bild: DW

DW-RADIO/Russisch: Warum hat Präsident Aleksandr Lukaschenko erst der Erhöhung des Preises für russisches Erdgas zugestimmt und danach die Situation beim Öl zugespitzt?

Dmitrij Oreschkin: Der gesamte belarussische Staatshaushalt beläuft sich auf etwa 15 Milliarden Dollar. Wenn man die Vergünstigung für Belarus beim Erdgas betrachtet und dabei die Differenz zwischen dem europäischen Preis von etwa 200 Dollar pro 1000 Kubikmeter und dem vergünstigten belarussischen Preis berücksichtigt, dann ergibt sich, dass Russland dem Staatshaushalt von Belarus drei Milliarden schenkte als Privileg, als Unterstützung für ein verbrüdertes Regime. Weitere 1,5 bis zwei Milliarden Dollar wurden mit Erdöllieferungen verdient. Das praktisch kostenlos und zollfrei nach Belarus gelieferte Erdöl wurde dort verarbeitet und danach zu europäischen Preisen in den Westen verkauft. Insgesamt erreichten die Erdöl- und Erdgas-Vergünstigungen der Marktpreise von 4,5 bis fünf Milliarden Dollar jährlich, was ein Drittel des Staatshaushalts wäre. So konnte Lukaschenko seine populistische Politik stützen, ohne die eigene Wirtschaft zu reformieren. Das, was als "belarussische Stabilität" bezeichnet wird, basierte in bedeutendem Maße, vielleicht sogar vorrangig, auf den vergünstigten Energielieferungen aus Russland.

Warum hat der Kreml dann über so viele Jahre einen Konflikt mit dem Lukaschenko-Regime gescheut und Minsk erst jetzt wirtschaftlich direkt unter Druck gesetzt?

Gerechtfertigt wurde früher alles mit den Verhandlungen über die Staatenunion, mit den brüderlichen Beziehungen, den geopolitischen Interessen Russlands und damit, dass Belarus Russland vor Gefahren aus dem Westen schütze. Die Gefahren sind ein Mythos und die tatsächliche Strategie Russlands war natürlich klar erkennbar: Man wollte einen Verbündeten wie Lukaschenko nicht verlieren. Aber die unnachgiebige Haltung Lukaschenkos in Fragen der Union hat die Moskauer Führung davon überzeugt, dass er nicht beabsichtigt, sich zu vereinigen, dass er absolut an seinen eigenen Vorrechten festhält und bereit ist, seine Macht mit jedem Mittel zu verteidigen. Er sagte, seine Bevölkerung werde eher in Wohnbunkern sitzen, als dass er einer Erpressung nachgeben würde. Auch unseren Geopolitikern ist klar geworden, dass es schwierig ist, einen solchen "Freund" weiter zu unterhalten.

Was ist ihre Prognose zur weiteren Entwicklung der russisch-belarussischen Beziehungen?

Anstatt einen potentiellen Verbündeten, der uns zehn Jahre lang an der Nase herumgeführt hat, werden wir letztendlich einen solchen Lukaschenko bekommen, wie er in Wirklichkeit ist: einer, der mit dem Kreml, der mit Russland überhaupt nicht sympathisiert, einen extremen und egozentrischen Politiker, der nur am Erhalt seiner persönlichen Macht interessiert ist. Die Beziehungen werden sich künftig nur verschlechtern. Ich denke, dass dies auch für Russland eine Lektion ist, denn die Ereignisse an der belarussischen Front, wenn man das so sagen darf, zeigen, dass der Versuch, sich seine Nachbarn mit dem Energie-Knüppel unterzuordnen, nicht funktioniert. Das, was im Januar, genauer gesagt Ende Dezember 2006 passierte, und das, was jetzt beginnt, ist die Epoche, in der man zu der Erkenntnis kommt, dass es einen einheitlichen postsowjetischen Raum auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetrepubliken niemals mehr geben wird. Lukaschenko hat den letzten Nagel in den Sarg dieser Idee geschlagen, möglicherweise den entscheidenden und den für die russische Mentalität unangenehmsten. Aber das war absehbar und zu erwarten. Russland muss selbständig leben und mit seinen Nachbarn marktwirtschaftliche Beziehungen pflegen. Gleichzeitig werden wahrscheinlich die, die wir als Verbündete betrachteten, in nächster Zukunft unsere erbittertsten Gegner sein. Leider ist diese einfache Schlussfolgerung bei der russischen Führung mit großer Verspätung angekommen. Aber später ist bekanntlich besser als nie.

Das Gespräch führte Gleb Gavrik
DW-RADIO/Russisch, 4.1.2007, Fokus Ost-Südost