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Erfolgsstory mit kurzer Geschichte

27. Juli 2009

Bereits seit 1896 gilt die Leichtathletik als Kernsportart bei den Olympischen Spielen der Neuzeit. Doch ungeachtet dieser globalen Bedeutung wurden die ersten Weltmeisterschaften erst 1983 in Helsinki ausgetragen.

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Srabhochspringer Sergej Bibka
Der Mann der Leichtathletik-Weltmeisterschaften - Sergej BubkaBild: DPA

"Es geht auf die letzten 70 Meter, von hinten kommt Wülbeck heran geflogen, jetzt zieht er auch an Cruz vorbei, er könnte es tatsächlich schaffen!" Fast ungläubig klang die Stimme des deutschen Radio-Reporters, um dann gleich im Stakkato zu jubilieren: "Er hat sie alle hinter sich gelassen! Willi Wülbeck ist Weltmeister! Und die Zeit von 1:43,65 ist zugleich ein neuer deutscher Rekord!"

Den 800-Meter-Läufer aus Wattenscheid hatte an diesem 9. August 1983 keiner ernsthaft auf der Rechnung. Obwohl für ihn bereits ein vierter Platz bei Olympia 1976 sowie zehn deutsche Meistertitel in Serie zu Buche standen. "Das war einfach ein gigantisches Gefühl, als ich eingangs der letzten Kurve merkte, dass ich noch Reserven hatte", erinnert sich Willi Wülbeck noch heute gerne. "Dann wachsen einem urplötzlich Flügel, so gab's beim Endspurt überhaupt kein Halten mehr!"

Wülbecks größter Triumph war zugleich ein historischer Sieg, denn so wurde er erster Leichtathletik-Weltmeister aus der Bundesrepublik. Lediglich Patriz Ilg über 3000 Meter Hindernis konnte ihm bei der Premiere in Helsinki noch auf die oberste Stufe des Podests folgen.

Startschuss fürs große Geschäft

Der Präsident des Leichtathletik-Welverbandes Primo Nebiolo
Der "Vater" der Leichtathletik-Weltmeisterschaften, Primo NebioloBild: DPA

Bis dato hatte sich die Sportart vor allem auf Olympische Spiele und Kontinental-Wettkämpfe konzentriert. Nun aber war die Bühne bereitet, um sogar mehr Teilnehmerländer als bei Olympia anzulocken. "Treibende Kraft beim Weltverband IAAF war Präsident Primo Nebiolo, der einen Prozess der Kommerzialisierung einleitete", erklärt Professor Helmut Digel, langjähriger Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV). "Das führte zunächst zur Entscheidung, die Weltmeisterschaften als neue Veranstaltung einzuführen. Später auch dazu, dass man vom Vier-Jahres- auf einen Zwei-Jahres-Rhythmus wechselte." Denn schnell hatte die Funktionärsriege erkannt, dass sich angesichts des Sponsoren- und Medieninteresses mit der WM sehr viel Geld verdienen ließ.

So folgten Helsinki zunächst im Vierjahres-Abstand Rom und Tokio, bevor Stuttgart schon 1993 Gastgeber wurde. Doch daran dürften sich Athleten und Besucher wohl eher erinnern als etwa an die Austragung im kanadischen Edmonton, acht Jahre später. "Ich glaube schon, dass die Weltmeisterschaft in Deutschland bisher die schönste und die am besten organisierte war", sagt Helmut Digel. "Dies lag am schönen Wetter, aber vor allem an den Zuschauern, die eine internationale Atmosphäre ohne jeglichen Chauvinismus erzeugten." Der Sportsoziologe glaubt auch fest daran, dass Berlin erneut die Chance bietet, sich der Welt als gastfreundliche Sportnation zu präsentieren.

Von DDR-Erfolgen weit entfernt

DLV-Präsident Prof. Helmut Digel mit IAAF-Präsident Primo Nebiolo
DLV-Präsident Prof. Helmut Digel mit IAAF-Präsident Primo NebioloBild: DPA

Wobei die sportlichen Erwartungen bescheidener ausfallen müssen: Das nun gesamtdeutsche Team hatte ab 1991 noch die Plätze zwei bis sechs in der Medaillenwertung belegt. Paris 2003 markierte dagegen mit Rang 27 einen absoluten Tiefpunkt, danach konnte lediglich das Werferlager halbwegs die Ehre des DLV retten. So können als wirklich heiße Gold-Anwärter anno 2009 nur Hochspringerin Ariane Friedrich und Speerwerferin Christina Obergföll gelten. "Die kleineren Länder haben enorm aufgeholt. Europäische Nationen wie Russland und Deutschland tun sich da äußerst schwer, ihre Position zu halten", analysiert Helmut Digel. "Auch weil die anderen Kontinente vermehrt Wissenschaft, Finanzen und Know-How einsetzen."

Die ersten beiden Weltmeisterschaften hatte noch die DDR mit jeweils zehnmal Gold dominiert, wohl auch dank staatlich gelenkter Doping-Praxis. Seit 1991 aber liegen die USA ununterbrochen im Medaillenspiegel vorn. Sie stellten auch spektakuläre Dreifachsieger wie Carl Lewis, Michael Johnson oder - zuletzt in Osaka - Tyson Gay. Doch es war ein Stabhochspringer, der den Titelkämpfen über 14 Jahre hinweg seinen Stempel aufdrückte: Sergej Bubka siegte sechsmal in Folge - zunächst für die Sowjetunion, dann für die Ukraine. Seine Weltrekorde hob sich der geschäftstüchtige Überflieger allerdings stets für lukrative Sportfeste auf.

Das Phänomen Bubka

Bubka dürfte eine Ausnahmeerscheinung bleiben, die so schnell keinen Nachahmer finden wird. Zumal die Leistungsstärke insgesamt dichter und die Zyklen in der Leichtathletik-Szene kurzlebiger geworden sind. "So wechseln die Protagonisten nahezu alle zwei Jahre. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob Usain Bolt in Berlin Weltmeister wird", meint Helmut Digel mit Blick auf den "Wunderläufer" aus Jamaika über 100 und 200 Meter. "Selbst er muss mit neuer Konkurrenz oder einer Verletzung rechnen - und schon ist ein neuer Star geboren!"

Autor: Lutz Kulling

Redaktion: Wolfgang van Kann