Erich Honecker kündigt am 5. Oktober 1983 den Abbau von Selbstschussanlgen an - Interview mit Ottfried Hennig | Meilensteine | DW | 04.01.2010
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Meilensteine

Erich Honecker kündigt am 5. Oktober 1983 den Abbau von Selbstschussanlgen an - Interview mit Ottfried Hennig

"Ich gehe davon aus, dass dies jetzt so durchgeführt wird" - der Staatssekretär Ottfried Hennig kommentiert die Abbauabsichten der Selbstschussanlagen an der innerdeutschen Grenze

Original Grenzzaun bei Schifflersgrund Grenzmuseum in Sickenberg. 1983 schätzte man die Anzahl der am Zaun instalierten Tötungsautomaten SM 70 auf insgesamt 54 000

Original Grenzzaun bei Schifflersgrund Grenzmuseum in Sickenberg. 1983 schätzte man die Anzahl der am Zaun installierten Tötungsautomaten SM 70 auf insgesamt 54 000

Eine Pressemeldung sorgt für Wirbel

Die deutsche Presse hatte am 28. September 1983 eine Sensation zu vermelden: die DDR wolle die gefürchteten und verhassten Selbstschussanlagen an der innerdeutschen Grenze vollständig abbauen. Doch diese Meldung hatte allerdings einen Schönheitsfehler: diese Ankündigung kam von bundesdeutschen Politikern – eine offizielle Stellungnahme der DDR fehlte bis dato. Erst am 5. Oktober 1983 bestätigte Erich Honecker in einem Interview mit österreichischen Journalisten den vollständigen Abbau der SM 70-Anlagen – inoffiziell eine nette Geste an Franz Josef Strauß nach der Vermittlung eines Milliardenkredits für die DDR. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ berichtete einen Tag darauf: „Ost-Berlin lässt erstmals das Wort ‚Selbstschussanlagen’ drucken.“ Zu diesem Zeitpunkt schätzte man die Anzahl der Tötungsautomaten auf 54 000, die seit 1971 aufgebaut wurden. Die Anzahl der Opfer, die von diesen Schussanlagen getötet oder verletzt wurden, war in der Bundesrepublik 1983 unbekannt.

Abbildung aus dem Buch Grenzsoldaten von 1981, erschienen im Militärverlag der DDR

Abbildung aus dem Buch "Grenzsoldaten" von 1981, erschienen im Militärverlag der DDR

Ein politischer Häftling rächt sich am DDR-Regime

Bei der SM 70 – so die offizielle Bezeichnung – handelte es sich um eine Streumine, die durch das Berühren eines Drahtes gezündet wurde. Den Aufbau einer solchen Mine konnten die Bundesbürger bereits im April 1976 genau studieren. Dies hatten sie einem ehemaligen politischen Häftling aus der DDR, Michael Gartenschläger, zu verdanken. Gartenschläger, in der DDR aus politischen Motiven zu lebenslanger Gefängnisstrafe verurteilt und nach knapp zehn Jahren von der Bundesregierung freigekauft, gelang es in der Nacht zum 30. April 1976 eine SM 70 von einem Grenzzaun abzumontieren und dem „Spiegel“ zu übergeben. Die von dem Hamburger Magazin veranlasste wissenschaftliche Untersuchung des Schießgerätes förderte nun Einzelheiten über seinen Aufbau und die Funktionsweise an den Tag.

Verlauf der innerdeutschen Grenze, an der schätzungsweise 54 000 Selbstschussanlagen SM 70 instaliert waren

Verlauf der innerdeutschen Grenze, an der schätzungsweise 54 000 Selbstschussanlagen SM 70 instaliert waren

Die Tötungsmaschine SM 70 und ihre Opfer

Es stellte sich heraus, dass dieser Automat 102 Gramm Sprengstoff enthielt, der bei einer Detonation 90 scharfkantige Eisenwürfel über einen Schusstrichter feuerte. In einer Entfernung von 10 Metern wurden solche Schiessapparate in drei verschiedenen Höhen - 0,40, 1,50 und 3,00 Meter - an den Pfählen angebracht. Der „Klau an der Grenze“ hatte auch einen positiven Nebeneffekt. In seiner Ausgabe vom 12. April 1976 veröffentlichte „Der Spiegel“ nicht nur die Ergebnisse der Untersuchung – man wusste nun auch, dass man so eine Selbstschussanlage entschärfen kann und man wusste außerdem wie. Die genaue Anleitung hierzu verheimlichte die Zeitschrift ebenfalls nicht. Wie oft diese Tötungsmaschinen ihre mörderische Funktion erfüllten, lässt sich heute nur schwer nachvollziehen. Im „Deutschland Archiv“ Nr. 39 aus dem Jahr 2008 wird zwar in dem Artikel von Hans-Hermann Hertle und Gerhard Sälter „Die Todesopfer an Mauer und Grenze“ von 33 Todesfällen gesprochen, die für die Staatsanwaltschaft Berlin nachweislich durch Erdminen und SM 70 ums Leben gekommen sind, doch die genaue Zahl bleibt weiterhin im Dunkeln, zumal die DDR-Organe stets darum bemüht waren, Todesfälle an der innerdeutschen Grenze zu vertuschen. Die letzte Selbstschussanlage wurde am 30.11.1984 abgebaut, die Grenze blieb weiterhin dicht.

Zwei Tage nach der Ankündigung Honeckers über die Demontage der SM 70-Schussanlagen sprach am 7. Oktober 1983 DW-Redakteur Dieter Jepsen-Föge mit dem damaligen parlamentarischen Staatssekretär im Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen, Ottfried Hennig, über den DDR-Vorstoß.

Andreas Zemke

Redaktion: Diana Redlich

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