1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Vernachlässigt und vergessen: die letzte Minderheit in GB

2. Dezember 2009

Die Labour Party ist besorgt: Immer mehr ihrer eigentlichen Stammwähler wenden sich von der Arbeiterpartei ab – und sympathisieren aus Protest mit der Rechten.

https://p.dw.com/p/Kp42
Arbeiter der Lindsey Oil Refinery in Immingham im Nordosten Englands demonstrieren angesichts von Massenentlassungen im Königreich gegen die Auftragsvergabe des Ölkonzerns Total an eine italienische Firma (30.01.2009/dpa)
Die Rufe werden lauter: "Britische Jobs für britische Arbeiter"Bild: picture-alliance/ dpa

Vor kurzem startete die Labour Regierung eine Kampagne, um weiße Randgruppen zu umwerben. Dazu stieg Justizminister Jack Straw in seinem nordenglischen Wahlkreis Blackburn auf eine altmodische Seifenkiste, um mit den Passanten ins Gespräch zu kommen. Andere Kollegen besuchten soziale Brennpunkte mit vorwiegend weißer Bevölkerung und klopften dort an die Tür.

Der Grund: Labour hat Angst, dass sich das Wählerklientel in armen weißen Wohngegenden von herkömmlichen Parteien abkoppelt und in die rechtsstehende Ecke abdriftet. Das Programm in Höhe von zwölf Millionen Pfund (umgerechnet knapp 13,3 Millionen Euro), soll sich über 100 Wahlkreise erstrecken. Von Barking in Ostlondon bis zum mittelenglischen Birmingham, von Milton Keynes im Südosten bis zu Dorset in Südwestengland.

"Eigentlich lehne ich das Wahl-Programm ab"

Der britische Justizminister Jack Straw (12.07.2005/AP Photo/Geert Vanden Wijngaert)
Macht sich Sorgen um die Erstarkung der Rechten: der britische Justizminister Jack StrawBild: AP

Mike Mazzoni ist Mitte 70 – und im EastEnd aufgewachsen, dem Arbeiter- und Migrantenviertel im Osten Londons. Sein Leben lang hat Mazzoni Labour gewählt, aber bei den Parlamentswahlen im kommenden Frühjahr will er für die britische Nationalpartei BNP stimmen – aus reinem Protest.

"Die BNP steht eigentlich für alles, was ich ablehne: Rassismus, Rechtsextremismus, Schwulenhass", meint er. Ihren Chef, Nick Griffin, bezeichnet er als "ignorant und inkompetent". Aber in einem Punkt stimme er mit der BNP überein: Die Zuwanderung müsse gestoppt werden, das Land platze aus allen Nähten. "Der Regierung sind die ethnischen Minderheiten offenbar wichtiger als wir, die armen weißen Arbeiter. Sie bekommen unsere Sozialwohnungen, während wir ewig warten müssen", klagt er. Der öffentliche Dienst mitsamt dem Bildungssystem sei völlig überlastet; in Schulen gäbe es sogar Klassen, in denen kein einziges Kind Englisch spricht.

Mike Mazzoni ist mit seinen Ressentiments nicht allein. Bei den Wahlen fürs Europaparlament im Juni 2009 hat die BNP erstmals zwei Mandate gewonnen. Der Niedergang der Industrieregion im Norden, massive Stellenverluste auch im Süden, Jugendarbeitslosigkeit und Wohnungsnot spielen der BNP zu. Die Rezession polarisiert die britische Gesellschaft – und die Unzufriedenen suchen nach Sündenböcken. Man bekomme sein Kind in keine Schule mehr, weil die Klassen mit Migrantenkindern überfüllt seien, lautet einer der Vorwürfe. Man sei die einzige Minderheit, die niemand beachte, ein anderer. Und den Mund aufmachen könne man auch nicht, da man sofort als Rassist beschimpft würde.

Rechte wird salonfähig

BNP-Chef Nick Griffin (07.06.2009/Dave Thompson/PA Wire)
Weiß sich zu inszenieren: BNP-Parteichef Nick GriffinBild: AP

Die BNP nutzt die sozialen Spannungen. Ihr Partei-Chef Nick Griffin, Absolvent der Eliteuniversität Cambridge, bemüht sich, politisch salonfähig aufzutreten. Vor kurzem wurde er von der BBC zu einer umstrittenen politischen Talkshow eingeladen, bei der er sich zwar gründlich blamierte, von der aber dennoch beide Seiten profitierten. Die Einschaltquoten schnellten in die Höhe und Nick Griffin bekam jede Menge mediale Aufmerksamkeit.

Noch eine andere Bewegung sorgt für Unruhe – die Englische Verteidigungsliga EDL. Dies ist keine landesweite, zentral organisierte Partei, sondern eine rechtsextreme Gruppe, die in verschiedenen Städten aktiv ist. Auf ihren Demonstrationen verbergen die Demonstranten ihr Gesicht hinter Masken und protestieren gegen den radikalen Islamismus. Eine Burka, die islamische Verhüllung, wirke mindestens genauso bedrohlich, so das Argument.

Die EDL hat weniger als tausend Mitglieder, aber ihre Demonstrationen provozieren. In Luton, Birmingham und Manchester gab es blutige Zusammenstöße zwischen asiatischen Jugendlichen und Antifaschisten. Britische Politiker warnen nun, die Medien sollten der EDL und anderen Rechtsextremisten nicht zu viel Beachtung schenken und ihnen ihren Sauerstoff entziehen: die Publicity. Leichter gesagt als getan.

Nächste Entscheidung im Juni 2010

Ein antifaschistischer Demonstrant hält einen Flyer hoch, auf dem Nick Griffin und das Wort "Nazi" abgebildet ist
Hat nicht nur Fans: Nick Griffin auf einem Flyer einer antifaschistischen BewegungBild: AP

BNP-Chef Nick Griffin erklärte, seine Partei werde sich im Wahlkampf auf Probleme wie Bildungsnotstand und Wohnungsnot konzentrieren – und gab bekannt, er wolle ausgerechnet im Ostlondoner Wahlkreis Barking kandidieren. Der Labour Abgeordnete Jon Cruddas ist besorgt: Sein Wahlkreis Dagenham liegt direkt daneben. Und in Barking hat es die BNP bereits in den Stadtrat geschafft.

Die weiße Arbeiterschicht fühle sich von New Labour zutiefst verraten, "ausgerechnet von der Partei, die ursprünglich für sie gegründet wurde", versucht Cruddas zu erklären. In den 70-er-Jahren sei es Margaret Thatcher gelungen, rechtsextremes Wählerpotential in die Konservative Partei einzubinden. Dass die Rechte heutzutage mit ähnlichen Mitteln zu schlagen sei, bezweifelt er.

Die etablierten Parteien haben nicht mehr viel Zeit, um Protestwähler wie Mike Mazzoni umzustimmen. Ob es ihnen gelingt, wird sich spätestens im Frühjahr 2010 erweisen. Bis dahin müssen die nächsten Wahlen fürs britische Unterhaus über die Bühne gehen.

Autorin: Ruth Rach
Redaktion: Mareike Röwekamp