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Erzbischof Robert Zollitsch: Solidarität neu lernen

7. April 2009

Es sei fraglich, ob der Wohlstand in den reichen Ländern gehalten werden könne. Erzbischof Robert Zollitsch, Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, mahnt im Interview mit DW-WORLD.DE zur Solidarität.

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Erzbischof Robert Zollitsch vor hellem Hintergrund (Foto: dpa)
Erzbischof Robert ZollitschBild: picture-alliance/ dpa

DW-WORLD.DE: Herr Erzbischof Zollitsch, wie sehen Sie diese Wirtschaftskrise? Ist das eher eine materielle oder eher eine moralische Krise?

Erzbischof Robert Zollitsch: Es ist zunächst wirklich eine materielle Krise, denn wir erleben, dass viele Banken zusammengebrochen sind, wir erleben, wie Staaten Milliarden einsetzen, um der Krise zu begegnen. Wir haben auch bei uns erlebt, dass die Leute sich ansprechen ließen, möglichst hohe Gewinne zu machen. Ich habe mich oft gefragt: Wenn jemand hofft, 15 oder gar 25 Prozent Gewinne zu machen, woher soll das kommen? Und es waren nicht nur die Großen, die Banker, die das große Geld machen wollten, sondern auch viele Kleine, die da mitgegangen sind. Dahinter steckt einerseits die berechtigte Sehnsucht nach Gewinn und nach Geld, aber ich glaube, diese Sehnsucht ist bei vielen fast zu einer Gier geworden.

Dieses menschliche Fehlverhalten, das da zum Tragen gekommen ist, führen manche darauf zurück, dass christliche Maßstäbe verloren gegangen sind.

Das ist eindeutig so. Das Christentum hat ja vor allem den Gedanken der Nächstenliebe in die antike Gesellschaft gebracht: Der Nächstenliebe, die für alle sorgt und an alle denkt. Wenn nun die Gier und das Streben nach Gewinn zu groß werden, dann sind diejenigen, die am Rande stehen, aus dem Blick geraten, dann ist das Ganze nicht mehr im Blick. Die Gesellschaft braucht die Solidarität der Reichen mit den Armen, und sie braucht die Solidarität mit dem Ganzen.

Solidarität mit dem Schwächeren hat ja in der christlichen Soziallehre einen sehr hohen Stellenwert. Ist dieser Gedanke auch in kirchlichen Kreisen etwas in Vergessenheit geraten?

Solidarität ist einer der zentralen Begriffe, die aus dem Christentum kommen, und die eigentliche Tiefe der Solidarität ist dann die Nächstenliebe. Wenn uns die Krise dazu herausfordert, uns wieder tiefer darauf zu besinnen, dann ist sie auch eine Chance. Ich wurde etwa noch nie so viel zu Wirtschaftsverbänden eingeladen, um über das Thema "mit Werten wirtschaften“ zu sprechen, wie jetzt in den zurückliegenden Monaten. Der eigentliche Wert der Wirtschaft, eines Betriebes, das sind die Mitarbeiter, das ist der Mensch. Wenn wir wieder neu in den Blick nehmen, dass es darum geht, möglichst vielen Menschen mit unserem Wirtschaften zu helfen, dann hat das Ganze einen tiefen Sinn.

Weit mehr noch als wir hier in den wohlhabenden Ländern sind andere Kontinente von der Wirtschaftskrise betroffen. Nun besteht natürlich die Gefahr, dass wir erst mal versuchen, das eigene Boot über Wasser zu halten. Wie wollen Sie erreichen, dass die ärmeren Länder nicht vergessen werden?

Ich habe in meinem Statement vor der Deutschen Bischofskonferenz zur Wirtschaftskrise gesagt: Wir dürfen die Länder der Dritten Welt nicht vergessen. Wir dürfen nicht meinen, wir könnten unseren Wohlstand sichern auf Kosten oder zu Lasten der anderen. Ein hartes Wort muss auch gesagt werden: Wir müssen überlegen, ob wir den derzeitigen Stand unseres Wohlstandes halten können, der sehr stark davon lebt, dass andere für uns arbeiten. Wir müssen lernen, mit anderen zu teilen und anderen etwas von dem Wohlstand abzugeben. Denn nur dann kann es tatsächlich einen Wohlstand in der Breite geben, der auch trägt.

Glauben Sie, dass die Menschen auf das hören, was Sie gerade sagen, und sich nicht eher mit Schrecken abwenden?

Man wird es nicht gerne hören. Aber wir müssen auch helfen, nüchtern aufzuzeigen, wo Gefahren liegen. Unser Wohlstand ist dann gefährdet, wenn er in dieser Welt singulär bleibt und wenn nicht andere daran partizipieren. Aber ich möchte es auch positiv begründen: Es gibt die Solidarität über unser eigenes Volk, über Europa hinaus, und diese Solidarität ist etwas grundlegend Christliches, ja sie ist etwas allgemein Menschliches. Diese Solidarität sollten wir aus einer solchen Krise neu lernen.

Das Interview führte Peter Stützle.

Redaktion: Christina Hebel

Robert Zollitsch ist seit Februar 2008 Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz. Geboren wurde er am 9. August 1938 in Filipovo/Jugoslawien. Am Ende des Zweiten Weltkriegs floh seine Familie nach Deutschland. Seit Juli 2003 ist er Erzbischof von Freiburg, der zweitgrößten der insgesamt 27 Diözesen in Deutschland.