1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Kommentar

Wolfgang van Kann24. Mai 2007

Immer mehr Radsportprofis gestehen, dass sie illegale Dopingmittel genommen haben. Wenn sich der Sport ändern und sauber werden soll, dann muss sich die Gesellschaft, müssen wir uns ändern, meint Wolfgang van Kann.

https://p.dw.com/p/Aj5w
Bild: DW

Die BILD-Zeitung titelte diese Woche: "Herr Ullrich, haben Sie wirklich nichts davon gewusst?" Doch geht es eigentlich überhaupt noch um Jan Ullrich oder einen der anderen großen Namen? Nein, ist die klare Antwort. Sollten sich Ullrich & Co. noch einmal outen, mag dies zwar zur Aufklärung beitragen, eine echte Bedeutung hätte es aber nicht mehr.

Denn es geht längst um viel mehr. Wer in den letzten Jahren die Ereignisse in der Leichtathletik, im Schwimmen, Triathlon oder Skilanglauf und ganz zu schweigen im Gewichtheben verfolgt hat, wird wohl kaum mehr behaupten, dass es den Sumpf nur im Radsport gibt. Es geht längst um den Sport allgemein, es geht darum, Strukturen, die offensichtlich mafiös sind, zu zerschlagen. Und letztlich geht es um den Ruf des Leistungssports insgesamt.

Welche Schuld trägt die Gesellschaft?

Doch selbst damit bewegen wir uns immer noch an der Oberfläche und sind noch nicht beim eigentlichen Kern des Problems. Der ist nämlich die Antwort auf die Frage, welche Schuld wir, die Konsumenten, Zuschauer, Fans und auch die Medien an der ganzen Sache haben und in welcher Gesellschaft wir eigentlich leben.

Was erwarten wird denn heute von den Leistungssportlern? Mit noch nicht einmal 20 Jahren sollen sie schon Vorbild sein – obwohl sie nie darum gebeten haben. Mit 20 bis 30 Jahren sollen sie die strahlenden Helden sein, die sich keinerlei Schwächen erlauben dürfen und die alle Medaillen bei Weltmeisterschaften oder Olympischen Spielen abräumen. Und mit über 30 Jahren sollen sie mit aller Macht beweisen, dass Alter keine Rolle spielt.

Nur Rekorde zählen

Wo stehen denn die Fans bei Radrennen? Da, wo es am meisten weh tut. Was wollen die Leute sehen, die zu einem Leichtathletik-Meeting kommen? Sie warten auf den Weltredkord. Was wollen sie beim Gewichtheben? Dass immer mehr Kilos auf die Hantel gepackt werden.

Die Leistungsgrenzen sollen also immer weiter rausgeschoben werden. Dabei soll der Sportler möglichst der kaum schwitzende oder angestrengte, sofort nach dem Wettkampf eloquent redende Saubermann bleiben und seine Leistung tagtäglich möglichst nur mit Wasser und Brot erbringen. Wie das geschehen soll, will eigentlich keiner wissen.

Wer im Glashaus sitzt …

Ist da nicht ein bisschen viel Heuchelei mit im Spiel? Denn was machen wir Nicht-Sportler eigentlich? Wir schicken unsere Kinder mit Beruhigungstabletten in den Kindergarten oder in die Schule, genehmigen uns eine Kurzen in der Mittagspause oder sogar schon bevor wir ins Büro gehen, kommen eh kaum ohne Nikotin und Alkohol aus und schütten literweise Kaffee in uns rein, um alles zu schaffen. Wenn der kleinste Schnupfen kommt, kippen wir uns sofort die - für den Sportler übrigens verbotene - Flasche Wick Medinait in die Birne oder bleiben gleich jammernd im Bett liegen.

Letztlich ist der Hochleistungssport nur ein Spiegelbild unserer Gesellschaft und somit weder besser noch schlechter als diese. Wenn sich der Sport ändern und sauber werden soll, dann muss sich die Gesellschaft, müssen wir uns ändern.