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"Es gibt kein Vakuum"

Bettina Marx, Tel Aviv29. Oktober 2004

Der schwer kranke Palästinenser-Präsident Jassir Arafat hat sein Hauptquartier in Ramallah verlassen und wird in Frankreich behandelt. Bereits jetzt wird über seine Nachfolge spekuliert.

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Jassir Arafat verlässt Ramallah

Vielleicht ist es ein Abschied für immer. Denn ob sich Jassir Arafat von seiner schweren Krankheit noch einmal erholt und nach Ramallah zurückkehrt, ist ungewiss. Bis zuletzt hatte sich der Präsident der palästinensischen Autonomiebehörde dagegen gesträubt, seinen Amtssitz, die Mukataa, zu verlassen. Es bedurfte aller Überredungskünste seiner Ärzte, um ihn dazu zu bewegen, in den Hubschrauber nach Amman zu steigen. Begleitet wurde der PLO-Chef von seiner Frau Suha, seinem Bürochef Ramsi Churi und seinem Leibarzt. Für die politische Führung Israels, die sich seit Jahren den Kopf darüber zerbricht, wie sie den verhassten "Erzterroristen" loswerden kann, kommt die Ausreise mehr als gelegen.

Jassir Arafat verlässt Ramallah
Arafat wird ausgeflogenBild: AP

Israel rechnet mit Unruhen

Der Palästinenser-Präsident scheint an einer Blut-Erkrankung zu leiden, die entweder durch einen Virus, durch eine Vergiftung oder durch Krebs ausgelöst wurde. Zwei Wochen lang litt Arafat unter einer mysteriösen Grippe. Am Mittwochabend (27.10.04) dann brach er zusammen und verlor offenbar das Bewusstsein. Den Ärzten aus Jordanien und Ägypten gelang es, seinen Gesundheitszustand vorübergehend wieder zu stabilisieren.

Arafat unter seinen Ärzten
Arafat und seine ÄrzteBild: AP

Arafats Leibarzt trat Gerüchten über eine Leukämie-Erkrankung entgegen. Doch es besteht kein Zweifel daran, dass der Palästinenser-Präsident schwer krank und seine Genesung nicht sicher ist. In Israel stellt man sich darauf ein, dass Arafat seiner Krankheit erliegen könnte. Man rechnet für diesen Fall mit Unruhen in den palästinensischen Gebieten. Die Armee sei vorbereitet, gegen Ausschreitungen vorzugehen, hieß es in Jerusalem, sie halte sich aber derzeit zurück und habe ihre Truppenpräsenz in der Region von Ramallah eingeschränkt.

Großes Medieninteresse

Die Reaktionen der palästinensischen Bevölkerung in den letzten beiden Tagen deuten kaum auf bevorstehende Unruhen hin: Mit überraschendem Gleichmut nahmen die Bewohner Ramallahs die dramatischen Entwicklungen in der Mukataa hin. Vor dem Amtssitz Arafats, wo sich früher Tausende versammelten, wann immer ihr Präsident in Gefahr war, fanden sich fast nur enge Vertraute Arafats und Hunderte Journalisten aus der ganzen Welt ein.

Foto von Jassir Arafat
Bild: AP

Mit Erstaunen registrierte man in Israel, wie groß die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit war. Das Presseamt der israelischen Regierung verlängerte sogar seine Öffnungszeiten, um weiteren anreisenden Journalisten die Gelegenheit zu geben, sich zu akkreditieren. Denn ohne die kleinen blauen Presseausweise der israelischen Regierung ist ein Besuch in den palästinensischen Gebieten nicht möglich.

Die Nachfolger-Frage

Nach Arafats Abreise werden die Journalisten sich nun dem drängendsten Thema zuwenden: der Nachfolge-Frage. Wer wird Arafat ersetzen, solange er krank und im Ausland ist? Und wer wird ihm nachfolgen, sollte er sich von seiner Krankheit nicht mehr erholen? Arafat-Berater Nabil Abu Rudeineh wies alle Spekulationen zurück. "Es gibt kein Vakuum. Die Palästinenser-Organisation und die palästinensische Verwaltung werden geführt wie immer in den letzten 30 Jahren", erklärte er. Dennoch hat Arafat in den Palästinensergebieten ein Machtvakuum hinterlassen.

In Ramallah war zunächst davon die Rede gewesen, dass sich ein Triumvirat die Nachfolge teilen werde. Die Namen von Ministerpräsident Ahmed Kureia, seinem Vorgänger Mahmud Abbas und von Nationalratspräsident Salim Saanun wurden in diesem Zusammenhang genannt. Doch die drei Männer beeilten sich zu dementieren. Denn noch lebt Arafat, noch besteht die Möglichkeit, dass er zurückkommt und sich an denen rächt, die ihn vorzeitig beerben wollten.

Palästinensische Kinder im Gaza Streifen Israel Palästina Nahost
Leben im GazastreifenBild: AP

Neben diesen Männern aus der Gründergeneration der PLO werden vor allem die Namen von Mohammed Dalahn, dem starken Mann im Gaza-Streifen, und Arafats Sicherheitsberater Dschibril Radschub genannt. Beiden wird zugetraut, über genügend Macht-Instinkt und eine ausreichende Machtbasis zu verfügen. Der populärste und vielleicht begabteste palästinensische Politiker hat bei der Neuorientierung allerdings keine Chance: Marwan Barghouti sitzt in einem israelischen Gefängnis. Er wurde wegen terroristischer Aktivitäten zu mehrfach "lebenslänglich" verurteilt.