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Zwei Exportweltmeister

8. Januar 2010

China hat Deutschland im vergangenen Jahr als Exportweltmeister abgelöst, melden die Medien. Na und? Deswegen wird sich keiner in sein Schwert stürzen, meint <i>Rolf Wenkel.</i>

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Rolf Wenkel, Wirtschaftsredaktion (Foto: DW)
Rolf Wenkel, WirtschaftsredaktionBild: DW

Nun ist es also amtlich: China ist im vergangenen Jahr zum neuen Exportweltmeister aufgestiegen. Die Volksrepublik hat vom Januar bis November Waren im Wert von 1.070 Milliarden Dollar ausgeführt - diese Zahl hatte die chinesische Zollverwaltung schon vor einigen Tagen bekannt gegeben. Und nun meldet das Statistische Bundesamt in Wiesbaden, die deutschen Ausfuhren hätten im gleichen Zeitraum nach vorläufigen Berechnungen einen Wert von 734,6 Milliarden Euro oder umgerechnet 1.050 Milliarden Dollar gehabt. Deutschland, das sich über Jahrzehnte mit dem Titel des Exportweltmeisters geschmückt hat, ist also um 20 Milliarden Dollar geschlagen worden.

Nur: Wird sich deswegen irgendein Wirtschaftsvertreter in Deutschland ein Schwert besorgen, um sich in selbiges zu stürzen? Vermutlich nicht. Denn dieser Vergleich zwischen Deutschland und China ist nichts anderes als eine groß aufgezogene Medienblase. Die Menschen lieben das höchste, schnellste, weiteste, teuerste, sie lieben die Champions, die Weltmeister. Solche Meldungen lassen sich immer gut verkaufen, auch wenn sie an den Tanz um das goldene Kalb erinnern - und in der Realität überhaupt keine Rolle spielen.

Perfekte Arbeitsteilung

Denn in Wirklichkeit gibt es nämlich zwei Weltmeister. Und die heißen Deutschland u n d China. Beide versorgen die Welt mit ihren Exportprodukten - und tun sich gegenseitig überhaupt nicht weh. Im Gegenteil. Sie beherrschen die Kunst der internationalen Arbeitsteilung nahezu perfekt, sie ergänzen sich, ohne sich sonderlich Konkurrenz zu machen.

Was damit gemeint ist, wird schnell klar, wenn man sich die Struktur und die Richtung der deutschen und der chinesischen Exportströme anschaut. Deutschland versorgt die Welt hauptsächlich mit Investitionsgütern - Maschinen, Anlagen, Kraftfahrzeugen - , China versorgt die Welt mit Konsumgütern, sprich: Unterhaltungselektronik, Textilien, Bekleidung, Spielzeug. Und was die Richtung der Warenströme angeht, so kann man überspitzt behaupten: Deutschland liefert an China die Maschinen und Anlagen, mit denen die Chinesen die Konsumgüter produzieren, die die Amerikaner dann auf Pump kaufen.

Gegenseitige Geiselhaft

Es gibt also zwei Weltmeister, und finanziert wird zumindest einer von beiden von einem anderen Weltmeister, dem Weltmeister im Konsumieren auf Kredit: die Vereinigten Staaten von Amerika. Besonders China hat sich auf dieses Spiel auf Gedeih und Verderb eingelassen. Man kann auch sagen: Beide Nationen haben sich gegenseitig als Geisel genommen. China ist auf die Exporte in die USA angewiesen und muss dabei zähneknirschend in Kauf nehmen, Unmengen von Dollarreserven und Schuldverschreibungen anzuhäufen, über deren Wert man sich streiten kann.

Die USA wiederum haben sich von den Importen aus China abhängig gemacht und sind zum größten Schuldner Pekings geworden. Eine Abwertung des Dollar und eine Aufwertung des Yuan käme den Amerikanern sehr gelegen, es würde die enormen Ungleichgewichte in der Handelsbilanz etwas abmildern - doch sie müssen ohnmächtig zusehen, wie Peking den Yuan künstlich niedrig hält, um die eigene Exportindustrie nicht zu gefährden.

Deutschland steht bei diesem Spiel weitaus besser da, auch wenn es jetzt den Titel als Exportweltmeister verloren haben sollte. Denn Deutschlands Abnehmerländer sind viel breiter gestreut - es gibt keine Abhängigkeit von einem Hauptabnehmerland. Trösten wir uns also ruhig mit dem Titel des Vizeweltmeisters - denn Weltmeister der Herzen sind wir ja sowieso. Zumindest im Fußball. Und das ist ja auch viel wichtiger!

Autor: Rolf Wenkel
Redaktion: Karl Zawadzky