1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

"Mangel an Zivilgesellschaft"

19. Mai 2017

Die Rechtsextremismus-Studie schlägt hohe Wellen. Unions-Fraktionsvize Michael Kretschmer spricht von pauschalen Vorwürfen gegen Ostdeutsche. Dem widerspricht Thomas Dißelmeyer, Gewerkschafter in Sachsen.

https://p.dw.com/p/2dEDD
Wöchentlich fanden in Freital Aufmärsche gegen die Aufnahme von Flüchtlingen statt
Wöchentlich fanden in Freital Aufmärsche gegen die Aufnahme von Flüchtlingen stattBild: picture-alliance/dpa/O.Killing

"Ich finde in der Studie viele Stereotype, die nicht belegt sind", sagte Kretschmer im Deutschlandfunk. Er kritisiert, dass die Studie nicht erkennen lasse, wie viele gesellschaftliche Initiativen es auch in Sachsen gebe. "Es gibt unglaublich viel Engagement in der Bürgerschaft für Flüchtlinge, für Menschen, die in Not sind, und das wird alles in den Dreck getreten", so der CDU-Politiker. Zudem vermische die Studie bewusst Extremisten und Menschen, die sich um Heimat, Leitkultur, Werte und das Vaterland sorgten.

Rechte Rhethorik im CDU-Gewand: Der CDU-Politiker Michael Kretschmer
Kritisiert Rechtsextremismus-Studie: Der CDU-Politiker Michael KretschmerBild: picture alliance/dpa/M. Gambarini

Kretschmer benutzt gerne Worte wie Vaterland, Leitkultur und Werte und warnt auch schon mal wie jüngst beim Verband der Lokalpresse vor übertrieben politisch-korrekten Formulierungen.

"Wutbürgers Liebling"

Er finde, sagte er da, das mit der Political Correctness, sei etwas ganz Furchtbares. Man müsse die Dinge aussprechen und benennen, wie sie seien. Auch bei der Benennung von Straftaten: Waren es Ausländer, oder nicht? Es könne doch nicht sein, dass man das alles wegtue, sagte Kretschmer. Die Wochenzeitung "Die Zeit" bezeichnete Kretschmer einmal als "Wutbürgers Liebling", der in Sachsen gern den wortgewaltigen Hardliner gebe. Der schon mal Ungarn für den Grenzzaun lobe und gegen ein Adoptionsrecht für Homosexuelle sei.

Den Gewerkschafter Thomas Dißelmeyer wundern die Aussagen Kretschmers nicht. "Ich weiß, dass Herr Kretschmer immer sagt, die CDU hat sich schon immer gegen Rechtsextremismus ausgesprochen. Doch die Wirklichkeit sieht anders aus. Man hat sich niemals ernsthaft mit Rechtsextremismus auseinandergesetzt. Als das mit den Flüchtlingszahlen nach oben ging, waren hier in Pirna und Freital wöchentlich rechtsextreme Aufmärsche, ohne dass die Politik groß etwas dagegen getan hätte", sagt Dißelmeyer, der noch bis Mitte Mai dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) in der Region Sächsische Schweiz - Osterzgebirge vorstand und die Region sehr gut kennt.

Die Gruppe Freital

Als Beispiel nennt Dißelmeyer die Ermittlungen um die rechtsextreme Gruppe Freital. "Erst als die Bundesanwaltschaft das Verfahren gegen die Gruppe eröffnet hat, wurde das in Freital zum Thema. Einige Tage zuvor hatte der Stadtrat noch gesagt, dass es kein Problem mit dem Rechtsextremismus gebe. Vielmehr habe man in der Stadt und der Region immer weggeguckt und das Problem verdrängt. Auch die Stadtgesellschaft habe sich nie darauf eingelassen und selbst die SPD habe dies nicht getan", so Dißelmeyer, der auch Mitglied der SPD ist.

Dies hatte, so der Gewerkschafter, Folgen für lokale Politiker. "Alle, die gegen den Rechtsextremismus angehen wollten, wurden angegriffen. Gegen den Freitaler Stadtrat Michael Richter von den Linken und die Grüne Direktkandidatin für den Bundestag Ines Kummer ist offen agiert worden, ohne das jemand eingeschritten wäre. Richters Auto wurde 2015 gesprengt. Kummer wird regelmäßig angepöbelt."

Der Prozess gegen die "Gruppe Freital" rückte die sächsische Kleinstadt ins Bundesinteress
Der Prozess gegen die "Gruppe Freital" rückte die sächsische Kleinstadt ins BundesinteresseBild: picture-alliance/dpa/S. Kahnert

CDU verdrängt das Problem

Dies deckt sich mit den Ergebnissen der von der Ost-Beauftragten der Bundesregierung, Iris Gleicke (SPD), vorgestellten Untersuchung. Diese kommt zu dem Schluss, dass Rechtsextremismus zwar nicht ausschließlich ein ostdeutsches Problem sei. Es werde aber befördert durch regionale Besonderheiten, "die in Ostdeutschland stärker ausgeprägt sind". Dazu zählten unter anderem die Sozialisierung in der DDR, ein weit verbreitetes "Gefühl der kollektiven Benachteiligung", fehlende Erfahrungen mit Ausländern und auch mangelnde politische Bildung. Der sächsischen CDU werfen die Wissenschaftler vor, die Entwicklung der Zivilgesellschaft im Sachsen negativ beeinflusst zu haben. Leute, die sich wehrten, seien als linksradikal und Nestbeschmutzer abgewertet worden.

Die Studienautoren vom Göttinger Institut für Demokratieforschung hatten mehrere Regionen untersucht: Darunter auch die Städte Freital und Heidenau, die durch asylfeindliche Proteste im Jahr 2015 bundesweit Schlagzeilen machten.

Dies bestätigt auch Dißelmeyer. "In der Region leben kaum Ausländer, trotzdem gibt es Ausländerhass. Fakt ist, dass hier viele Menschen wohnen, die den Übergang 1990 nicht geschafft haben. Das ist der Nährboden für Rechtsextremismus. In Freital wurde die Sachsen-AfD gegründet. In Freital sitzen NPD und AfD in Fraktionsstärke im Stadtrat. Und diese AfD-Fraktion ist eine Abspaltung der CDU gewesen. Das sagt viel über einige Teile der CDU in Sachsen aus", so Dißelmeyer.

Manifestierte rechte Haltung

Viel macht Dißelmeyer an der früheren Gruppe Skinheads Sächsische Schweiz fest. Die 2011 verbotene Gruppierung war in den 1990er Jahren massiv an Übergriffen gegen Ausländer und Andersdenkende beteiligt. "Das wurde schon damals nicht thematisiert. Die wurden kaum strafrechtlich verfolgt. Das ist jetzt 20 Jahre her und diese Leute haben jetzt Kinder, die das weiterführen. Zum Stadtbild der Kommunen der Region gehört der Thor-Steinar-Laden genauso dazu, wie andere mit rechten Devotionalien handelnden Unternehmen."

Deutschland Thomas Dißelmeyer
Gewerkschafter Thomas DißelmeyerBild: Privat

Dißelmeyer jedenfalls ist froh, dass er nun für die SPD in Niedersachsen arbeitet. "Ich habe noch keine Region in Deutschland wahrgenommen, wo der Umgang mit dem Thema Rechtsextremismus so war, wie in Sachsen. Ich bin zwar nie ernstlich angegriffen worden, habe aber immer die aggressive Grundstimmung gefühlt und bin jetzt nicht böse, weg zu sein. Ich trete weiter aktiv gegen Fremdenfeindlichkeit und Rechtextremismus ein. Jetzt halt in Niedersachsen."

(Mit Material von afp, dpa und Deutschlandfunk)