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Es ist soweit

Alexander Kudascheff28. April 2004

Die EU-Erweiterung wird Europa verändern. Dessen ist sich Alexander Kudascheff sicher. Doch die Art der Veränderung wird überraschen.

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In wenigen Tagen kommt es zum Big Bang. Dann erweitert sich die EU um zehn neue Länder, wächst auf 25 Staaten. Dann wird das Europa von Jalta - das geteilte Europa - endgültig zu den historischen Akten gelegt. Dann wird der alte Kontinent wieder vereinigt, dann wächst zusammen, was zusammengehört - von Nord nach Süd, von West nach Ost. Dann zählen Polen wie Esten ebenso zu Europa wie Franzosen und Engländer. Dann fühlt man sich in Prag ebenso europäisch wie in Berlin, in Llubljina ebenso wie in Wien, in Athen wie in Riga. Die europäische Union erlebt am 1. Mai einen historischen Tag. Einen historischen Einschnitt. Einen Epochenwechsel.

Und doch wird der Big Bang nicht so einfach sein, wie man es sich wünscht. Auf der Habenseite ohne Frage und ohne Zweifel: Ein Bündnis von 25 Demokratien, zwischen denen Krieg unvorstellbar ist - ganz im Gegensatz zur ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts. Ein Bündis der Freiheit und der Sicherheit. Ein Bündnis, das Konfilkte im Normalfall vernünftig und fair austrägt. Ein Bündnis von 450 Millionen Menschen mit einem gemeinsamen Binnenmarkt, in dem faire und gleiche Wettbewerbsbedingungen gelten - jedenfalls im Prinzip.

Aber: Dieses Bündnis ist wenig effizient. Es handelt nach den Regeln einer 6-er Gemeinschaft. Die Verfassung, eigentlich eher ein Grundgesetz ist bis heute nicht endgültig beschlossen - ratifiziert schon gar nicht, da steht eher ein Fiasko in Referenden bevor. Das Gleichgewicht der Instanzen ist nicht vorhanden. Was darf, was soll die Kommission? Vieles, aber nicht wirklich Entscheidendes. Was darf, was soll das Parlament? Vieles, aber nicht wirklich Wichtiges. Was soll der geplante gemeinsame Außenminister: Er soll mit Europas Stimme sprechen. Doch kann man sich das bei einer EU vorstellen, die nicht einmal ihr Mitglied Zypern beeinflußen kann, sich auf einen Friedensplan der UNO einzulassen? Da ist viel Vollmundiges im Spiel, aber wenig Konkretes, wenig Tatkräftiges.

Und: Diese neue EU - sie wird unübersichtlicher. Die Linien verlaufen unkonturierter. Der deutsch-französische Motor - er hat weder genug Zylinder noch genug PS. Und selbst mit einem stillen, dritten Teilhaber - mit London an seiner Seite - reicht es nicht aus. Es gibt die Unionisten, die soviel EU wie möglich wollen, und ihre entschiedenen Gegenspieler. Es gibt ein neues und ein altes Europa, wobei das alte Europa gerne das neue beleidigt. Aber es gibt vor allem tiefgreifende Mentalitätsunterschiede.

Die alte EU - vielleicht ohne Irland und England - ist ein paritärischer Wohlfahrtsverband, der das Erreichte sichert und verteilt. Das neue Europa - ohne Zypern und Malta - singt das Hohe Lied der Freiheit, des Risikos, des Wagemuts, des Unternehmertums. Es hat seine Freiheit der Diktatur abgetrotzt, es hat seine Freiheiten erkämpfen müssen. Und deswegen schaut es gelegentlich verächtlich auf die Wohlstandsbürger im Westen - und hochmütig auf die Regelungswut der Europäischen Kommission in Brüssel.

Aber auch das wird sich ändern. In wenigen Wochen wird es ein neues Parlament geben. In wenigen Wochen wird es einen neuen Kommissionspräsidenten geben - und neue Kommissare. Dann wird es auch in Brüssel anders zur Sache gehen. Dann wird nicht mehr nur nach der deutsch-französischen Melodie getanzt und gesungen, dann wird Europa vielstimmiger, der Chor vielleicht auch schwerer zu verstehen.

Aber: Diese neue EU wird anders sein. Sie wird aus dem Osten lernen und übernehmen. Sie wird die Alten vorantreiben. Sie schafft Konkurrenz in den eigenen Reihen - mit niedrigen Steuersätzen und einfachen Steuersystemen. Mit einer mobilen, leistungsbereiten Arbeiterschaft. Mit einem hoch mobilen, hoch qualifizierten und oft ganz jungem Mittelstand. Da wird man sich beim kranken Mann Europas, in Deutschland, wohl öfters noch erstaunt ansehen. Und man wird lernen - von den Neuen. Und das bringt wahrscheinlich ganz Europa voran.

Eine soziale Idylle wird das neue Europa wohl nicht. Ein behagliches Schlaraffenland schon gar nicht. Aber vielleicht doch ein Melting Pot an Ideen und Initiativen. Und das wäre dann ein zweiter Big Bang in der EU.